Mission ist wie Jazz: Künstler auf Welttounee

Mission ist wie Jazz: Künstler auf Welttounee

Alfred Meier entdeckt die überraschend dynamischen Gemeinsamkeiten von Jazzmusik und christlicher Mission. Die Akteure folgen einem vorgegebenem Thema und werden zugleich kreativ – als Solokünstler und als Mitglieder eines Kollektivs.

Interkulturelle Missionsarbeit ist herausfordernd und bereichernd. Wer sich darauf einlässt, muss Komfortzonen verlassen, Nachfolge radikal leben, aber auch kulturell und theologisch gründlich reflektieren. Und dafür wird er reichlich belohnt. Er wird Gott als Schöpfer, Erlöser und Vater tiefgründiger kennenlernen und die Weite des Reiches Gottes und den Reichtum fremder Kulturen erfassen. Gott verfolgt dabei ein großes Ziel. Die gesamte Schöpfung und jeder einzelne Mensch sollen von seiner Liebe bewegt werden und zurückfinden in die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott.

Wer die Bibel aufschlägt, entdeckt in den Berichten und Texten Mission als zutiefst biblisches und göttliches Anliegen. Dennoch wird das Konzept Mission kritisiert, außerhalb und innerhalb des christlichen Spektrums. Historisch betrachtet hat die nachweisliche Verbindung der christlichen Mission mit der Geschichte des imperialistischen Kolonialismus und der europäischen Eroberungsgeschichte die Missionsbewegung in erhebliche Erklärungsnot gebracht. Mission wird als kulturzerstörende und eurozentristische Bewegung angesehen. In Theologenkreisen und an Universitäten wird Missionswissenschaft durch Begriffe wie interkulturelle Theologie, interreligiöser Dialog und Ökumenik relativiert oder ersetzt.

Hier beginnt die Gemeinsamkeit zwischen Jazz und Mission. Denn auch der Begriff des Jazz war zunächst umstritten. Von den zeitgenössischen Musikern wurde er kritisch gesehen, da die amerikanische weiße Mastergesellschaft die Jazzmusik als „rhythmischen, anzüglichen Lärm“ betrachtete. Ab 1914 benutzten Ragtime- und Swingbands den Begriff Jazz, um ihre Musikrichtung zu klassifizieren. Jazz ist jedoch keine statische Musiktheorie. Jazz ist ex-statisch. Jazz steht für energiegeladene mit Pep vorgetragene Musik. Der starre Blick auf das Notenblatt wird ersetzt durch eine improvisierte, tanzende musikalische Bewegung, bei der sich die Akteure auf der Bühne gegenseitig inspirieren. Erstarrte Formen werden ausgehebelt und kreativ neu bewegt.

Was Jazz und Mission gemeinsam haben

Mission und Jazz haben drei Dinge gemeinsam: ein zentrales Thema, kreativ agierende Interpreten und ein Ziel. In der Jazzmusik werden sog. Jazzstandards interpretiert. Dabei handelt es sich um ein zentrales, vom Komponisten vorgegebenes Thema eines Stückes, um das die Improvisationen und Kreationen der Musiker kreisen. Jazz ist Bewegung, die immer schneller und dynamischer werdend das Leben in Schwung bringt. Und – genau das ist auch Mission.

Mission ist wie Jazz keine Theorie. In der Mission basiert die theologische Reflexion auf dem konkreten Handeln Gottes und auf dem, was er durch seine Missionare tut. So reflektiert zum Beispiel Paulus im Korintherbrief sein Apostelamt ganz praktisch (1. Korinther 9 und 2. Korinther 2-4.10). In der Mission setzt Gott die Standards. Er gibt das Thema vor. Mission lebt davon, dass Gott uns bewegt und uns in die von ihm geliebte und gleichzeitig chaotische Welt hinauskatapultiert, um das Leben unserer Mitmenschen heilvoll in Schwung zu bringen.

Mission ist eine von kreativer, dynamischer Bewegung geprägte Mentalität

Mission ist aus der rhythmischen, kreativen Bewegung Gottes entstanden. Gott ist „sich selber nicht genug“. Er geht „sendungsbewusst“ aus sich heraus. Gott schleudert sein mächtiges Wort in die dunkle, chaotische Weite. Gott sendet sein Wort als Auftrag an die Elemente, sich zu formieren. Gott ruft die Welt ins Leben, ruft Menschen in seine Gemeinschaft und beauftragt sie. Wie Jazz ist Mission Bewegung, ein globaler Rundtanz, in den wir uns als Nachfolger Jesu einklinken. Mission ist eine von Dynamik geprägte Mentalität, eine Herzenshaltung, die das missionarische Wesen Gottes reflektiert. Diese im Herzen Gottes verwurzelte Mentalität ist Voraussetzung für das konkrete, variantenreiche, intuitiv auf die jeweilige Situation eingehende missionarische Handeln in der Welt.

Gott ist der Komponist. Und spielt selbst mit.

Die Jazzmusik lebt davon, dass ein Thema die gesamte Darstellung bestimmt. Dieses Thema wird von den Mitgliedern des Ensembles aufgegriffen und kreativ-intuitiv interpretiert. Jazz lebt auch von der Improvisationsfähigkeit, die in der Lage ist, sich, vom zentralen Thema geleitet, an neue Herausforderungen heranzutasten. In der Mission Gottes in dieser Welt ist das ähnlich. Gott gibt das Thema vor. Gottes Standard ist seine Liebe, die sich auf Menschen zubewegt. Es ist seine Sehnsucht nach heilvoller Gemeinschaft, die sein Denken und Handeln bestimmt.

Gott gibt aber nicht nur das Thema vor. Er ist nicht nur Komponist oder Dirigent. Nein, er spielt selber mit. Er reiht sich ein in das Ensemble und steht in unmittelbarem Blickkontakt mit uns, den Gesandten. Er zwinkert uns zu und signalisiert damit, wann wir losgehen und unserem Instrument die besten Töne entlocken sollen.

Die Schöpfung ist die erste missionarische Handlung des dreieinigen Gottes

Im Schöpfungsgeschehen bricht die dynamisch kreative Kraft Gottes auf, um das Nichts zu beleben, die Dunkelheit zu erleuchten und Räume der Gemeinschaft zu schaffen. Menschen werden von Anfang an in das kreativ-kulturelle Handeln Gottes einbezogen. Gott wählt seinen Weg mit Noah, Abraham und Mose. Gott geht mit Königen, Propheten und selbst fremden Herrschern wie Kyrios. Mal ist es die jazzrockige Welle von Nebel und Feuer, die die spürbare, belebende Gegenwart Gottes im Exodus und in der entbehrungsreichen Wanderung durch die Wüste bezeugen. Ein anderes Mal ist es der wilde, improvisierte, kritische Schrei der Trompete, der die Machthaber und die fromme Elite zur Raison ruft.

In der missionarischen Sendung Jesu Christi läuft Gott zur Hochform auf

Die Blicke des Bassisten, des Schlagzeugers, des Trompeters sind den Rhythmus haltend auf den Pianisten gerichtet. Jetzt kommt sein großer Auftritt. Gottes Mission mündet in die Sendung seines Sohnes Jesus Christus in diese Welt (Johannes 1,14 und 3,16). Hier zeigt sich Gottes ganze Liebe zur ganzen Welt – wortstark, tatenreich, diakonisch konkret, alltäglich und wundervoll. Die Mission Jesu ist gleichzeitig multiplikatorisch. Jesus beruft Jünger, die später apóstoloi (griechisch, deutsch Sendboten, lateinisch apostoli, seit 17. Jh. missionarius) genannt werden. Missionare sind von Gott und seiner Gemeinde zur Erfüllung einer konkreten Aufgabe beauftragte und bevollmächtigte Boten.

Im Jazz macht das facettenreiche, mitreißende, das Grundthema neu in Erinnerung rufende Spiel des begnadeten Pianisten den Weg frei für den Auftritt der anderen Bandmitglieder. Jeder wird als begnadeter Musiker und neu belebt seinen Platz suchen und einnehmen. In diesem Sinne sendet Jesus seine Jünger in die Welt (Matthäus 28,19-20; Markus 16,15; Apostelgeschichte 1,8).

Alfred Meier arbeitete mit seiner Frau Christiane als Missionar in Mali und unterrichtet Missionsgeschichte an der Theologischen Hochschule Ewersbach

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Mai – Juli 2018) erschienen.