Seeleute als vergessenes Volk

Seeleute als vergessenes Volk

Vor 30 Jahren gründeten Monika und Martin Otto einen Missionsverein, um Seeleuten ganzheitlich zu helfen. Ab 2019 wird dieser Verein Teil der Allianz-Mission. Ein Rückblick.

Als Schifffahrtskaufmann bei einem Hamburger Schiffsmakler hatte ich – neben anderen Aufgaben – auch auf Schiffen zu tun und lernte so die Situation der Seeleute und die Abläufe auf den Schiffen kennen. Als es beim Makler zu Unregelmäßigkeiten kam, die ich als Christ nicht mitverantworten konnte, las ich eines Morgens in der Bibel: „Wer im Kleinen nicht treu ist, kann auch im Großen nicht treu sein“ (Lukas 16,10). Schon einige Zeit hatte ich für die Situation gebetet und das war für mich der Auslöser, dort zu kündigen.

Ich ging für sechs Monate nach England, um die englische Sprache besser zu lernen, und brachte mich bei einer Missionsgesellschaft ein. Dort gingen wir u.a. mit englischer Literatur in Kneipen, um mit Menschen in Kontakt zu treten und ihnen das Evangelium zu bringen. Bei einem dieser Einsätze schoss mir der Gedanke durch den Kopf: „Warum nicht mit dieser Literatur zu den Seeleuten auf die Schiffe gehen?“ Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los. Zurück aus England trat ich eine neue Arbeitsstelle in Hamburg an und begann nebenberuflich mit einem Freund zusammen abends auf die Schiffe zu gehen und die Seeleute zu besuchen. Wir erlebten offene Türen und Herzen, so dass immer mehr die Idee heranreifte, diese Arbeit vollzeitlich zu tun, um mehr Zeit für die Seeleute einsetzen zu können.

So folgte bald eine dreijährige theologische Ausbildung in der Schweiz und ein anschließendes Gemeindepraktikum in Augsburg. Immer wieder bat ich Gott, mir zu zeigen, in welchem Missionsland er mich habe wolle. Und immer wieder hörte ich in meinem Herzen: „Du weisst, wo du hingehen sollst – auf die Schiffe!“ Inzwischen hatte ich Monika kennengelernt, die auch ihrerseits auf dem Weg in die Mission war. So zogen wir direkt nach unserer Hochzeit 1987 nach Hamburg, um dort im Hafen als Missionare für Seeleute zu arbeiten. Wir hatten zuvor einige Missionsgesellschaften angesprochen, um uns dort anzuschließen und mit ihnen gemeinsam die Arbeit im Hamburger Hafen zu starten. Doch die Missionsgesellschaften sandten damals ausschließlich Leute von hier ins Ausland und keiner konnte sich diese Missionsarbeit auf den Schiffen vorstellen. So mussten wir alleine beginnen und haben erlebt, wie Jesus uns Schritt für Schritt geführt hat.

Wir waren nicht ganz alleine, denn Monikas Heimatgemeinde in Hessen und etliche Freunde standen von Anfang an hinter uns und dieser Missionsarbeit. So zogen wir als Ehepaar los auf die Schiffe mit christlicher Literatur in verschiedenen Sprachen in der Tasche. Wir erlebten viel Offenheit und auch große Freude der Seeleute, dass sich jemand für sie interessierte und sie nach Hause einlud. Nach vielen Monaten auf See endlich mal wieder in einem normalen Zuhause zu sein, das hat den Seeleuten viel bedeutet. Sie erlebten in ihrem Leben viele Herausforderungen: zehn bis zwölf Monate auf See, getrennt von der Familie, Sorgen und Ängste um die Familie zu Hause, Stress, stürmische See und Gefährdung durch Piraten. In dieser Situation waren und sind die Seeleute sehr offen für das Evangelium.

Über Seeleute lernten wir dann Missionare in anderen Häfen kennen, u.a. auch eine Mission in England, die „Seamens Christian Friend Society“ (SCFS), mit denen wir bis heute eng verbunden sind und in gutem Austausch stehen. So entwickelte sich die Arbeit weiter und wir gründeten 1988 den Verein „Freunde für Seeleute“, über den wir dann angestellt wurden. 1991 kamen Volker und Doris Lamaack als vollzeitliche Mitarbeiter hinzu und es konnten noch mehr Seeleute auf den 60 – 80 Schiffen erreicht werden, die damals täglich im Hamburger Hafen lagen.

Inzwischen ist ein weltweites Netzwerk entstanden, in dem wir uns alle drei Jahre zu einer internationalen Konferenz treffen. Dadurch wird eine gute Betreuung der Seeleute möglich, denn sie können von einem Missionar zum anderen weitergeleitet werden. Es ist eine sehr enge Zusammenarbeit mit SCFS Philippinen entstanden, da der größte Teil der Seeleute zur Zeit noch Filippinos sind.

Auch nach mehr als 30-jähriger Tätigkeit mit den Seeleuten sind wir immer noch begeistert über ihre Offenheit und darüber, wie viele Möglichkeiten sich uns bieten. Auf Kreuzfahrtschiffen haben wir manchmal Leute aus 70 verschiedenen Nationen vor uns, denen wir hier in Hamburg begegnen können. Uns ist es wichtig, den Seeleuten ganzheitlich zu dienen: auf physischer, geistlicher und emotionaler Ebene. Wir sind dankbar, diesen Dienst und die weitere Entwicklung nun zusammen mit der Allianz-Mission gestalten zu können und freuen uns, aus dem reichen Erfahrungsschatz unserer neuen Kollegen zu lernen.

Monika und Martin Otto und Doris und Volker Lamaack sind Missionare der Allianz-Mission in Deutschland.

Der von Ehepaar Otto vor 30 Jahren gegründete Missionsverein Freunde für Seeleute e.V. wurde 2019 aufgelöst und als neue Arbeit in die Allianz-Mission eingegliedert.

Dieser Artikel ist in Kombination mit Seemannsgeschichten in unserem Magazin move (Februar-April 2019) erschienen.