„Gott verschwendet nichts“

„Gott verschwendet nichts“

50 Meter vom Armenviertel entlang des „Floodway“-Flusses lebt Wiebke Schmidt-Holzhüter in Lauf- und Geruchsweite der Armut in Manila. Sie liebt es, Menschen Wert zu geben – durch Da sein, Mitgehen und ihr Reden von Jesus. Obwohl sie die Frage nach ihrem eigenen Wert fast das Leben gekostet hätte.

Sie
Wiebke strahlt eine tiefgründige Freude und echte Wertschätzung aus. Nicht die Art von naiv-übermütiger Freude, die mit oberflächlichem Grinsen vorbeihuscht. Sondern eine Freude und Wertschätzung, die ganz beim Gegenüber ist: ehrlich, verletzlich und auf reife Weise gelassen. Auch wenn es manches zu beklagen gäbe, klagt sie wenig. Redet lieber von den Menschen, denen es noch so viel schlechter geht als ihr. Weder eigene Krankheiten, noch die Perspektivlosigkeit ihrer täglichen Gesprächspartner im Slum werfen sie so leicht um. Denn sie hat erlebt, dass Gott sich in allen Lebenslagen als vertrauenswürdig erweist und ist überzeugt: „God wastes nothing!“ (deutsch: Gott verschwendet nichts).

Umgezogene Kindheit
Als eines von vier Kindern eines geschäftsreisenden Vaters zählt sie die Umzüge nicht mehr. Zwei Kindergärten, fünf Schulen und drei Kulturen durchläuft sie und erlebt die radikalen Wechsel zwischen Deutschland, USA und Österreich manches Mal als anstrengend, auch wenn es ihr an sich leichtfällt, Kontakte zu knüpfen. Dass sie krankheitsbedingt die ersten Jahrzehnte ihres Lebens immer wieder mit diversen Knochenbrüchen und Bänderrissen im Krankenhaus ist, macht ihr Leben nicht eben leichter. Trotz christlichem Elternhaus, früher Entscheidung für ein Leben mit Jesus mit elf Jahren und leidenschaftlich-authentischen Gemeindeleben wächst neben der äußerlichen Fröhlichkeit eine innere Schwermut. Sie weiß darum, dass ihre Schuld durch Jesus vergeben ist, fühlt sich aber von Gott stets mehr ertragen als geliebt. Nicht gut genug.

Ausbildung und die Wende
Bei ihren Krankenhausaufenthalten lernt sie die Chancen der Ergotherapie schätzen und macht sie zu ihrem geliebten Beruf. Lebt und arbeitet – mittlerweile wieder in Deutschland – in Solingen, Heidelberg, Würzburg und Hattingen. Gleichzeitig verdunkelt sich ihre innere Verzweiflung bis zu jenem Tag im Juni 1996, an dem sie nicht mehr kann und nicht mehr will. Sie schreit eine letzte Bitte an Gott heraus, ein Ultimatum: „Gott, ich gebe dir drei Tage, mir zu zeigen, ob du mich liebst und mein Leben willst.“ Krankgeschrieben liest sie fast 24 Stunden am Stück die Bibel und erlebt Gott neu. Auf einmal sind das nicht nur Zusagen für andere, sondern Gott redet durch seinen Heiligen Geist zu ihrem verfinsterten Herzen. Und bringt Licht hinein. Ein Bibelwort bringt die innere Wende zum Ausdruck: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des HERRN Werke verkündigen.“ (Psalm 118,17). Für Wiebke beginnt ein neues Leben: „Gott will mein Leben! Gott, es gehört Dir. Mach damit, was Du willst!“

Berufung, Studium und Ausreise
Da sie ihren Beruf nicht fortführen kann, lässt sie sich von Gott und anderen herausfordern und beginnt eine theologische Ausbildung, aus der im Rheinland und Belgien dann sechs Jahre und ein Master werden. Mit großem Spaß saugt sie alle Studieninhalte auf und weiß doch noch nicht, was Gott damit eigentlich anfangen will. Auch wenn sie eigentlich der Ansicht war, dass man keine gesonderte Berufung braucht, um in die Mission zu gehen, schenkt Gott ihr genau diese. 2002 endet ein Abend voller Lobpreis und Gebet mit Gottes klarem Reden: „Wenn es Dir ernst ist, dann geh!“

Da ihre Schwester 1983 als erste Kurzzeitlerin der Allianz-Mission für ein Auslandsjahr in Japan war, liegt der Kontakt nahe und ein Jahrespraktikum auf den Philippinen wird vereinbart. Obwohl Wiebke eigentlich als theologische Lehrerin nach Tansania wollte, bestätigt Gott den Weg gen Asien und so sitzt Wiebke 2003 mit 33 Jahren im Flugzeug nach Manila. Auch wenn Gott sie mit vielen Umzügen und Kulturwechseln vorbereitet hat, fühlt sich das Zurücklassen von allen und allem für sie wie sterben an. Aber Gott ist treu: durch alle Höhen und Tiefen des Ankommens erlebt sie ihn intensiver als je zuvor. Jahre mit 1001 intensivem Erlebnis im Missionsalltag folgen.

Slum, Überflutung und freuen auf den Himmel
Nach Sprachschule in der Landessprache Tagalog verlagert sich Wiebkes Arbeitsschwerpunkt neben dem Unterricht an der Bibelschule über die Gemeindearbeit im Kinder- und Jugendbereich zu der Arbeit mit den wirklich Armen. Im Slum entlang des Floodway gibt es keine einfachen Lösungen und sie erlebt sich ununterbrochen mit Leid konfrontiert. Hier unter über 100.000 Menschen engagiert sie sich gemeinsam mit anderen in ganzheitlicher Hilfe: z.B. durch ein Stipendienprogramm für Kinder und Jugendliche, ein frisch gestartetes Projekt für Straßenkinder oder Wiederaufbauhilfe nach mehreren Flutkatastrophen. Dass bei einer davon auch ihr sämtliches Hab und Gut Opfer der Flut wurde, bewegte sie damals weniger als die lebensbedrohliche Not, die die Überschwemmungen für die Ärmsten bedeutete. So ist ihr großes Anliegen, immer wieder trotz Gestank und Lärm bei den Menschen im Armenviertel zu sein, damit sie mit ihnen Leben teilen, von Jesus berichten und ihrem Leben so Wert zusprechen kann. Eben den Wert, um den sie selbst so lange Jahre gerungen hat. Pausen und Ruhe sind in dieser brodelnden Metropole schwer zu finden, höchstens mal bei geschlossenem Fenster in ihrem Zimmer oder einem klimatisierten Kaffeehaus. Was Wiebke bei all dem vor Augen hat, ist die Vorstellung der Gesichter all ihrer Glaubensgeschwister vom Floodway, wenn sie, die in ihrem Leben nie Manila verlassen haben, eines Tages bei Jesus den Himmel bestaunen dürfen. Darauf freut sie sich.

Hier wohne ich: Manila, Philippinen
So alt bin ich: 49 Jahre
Meine liebste Freizeitbeschäftigung: Lesen, denken, am und im Meer sein
Mein letztes Buch: „Brannte nicht unser Herz“ (Rainer Harter)
Mein Job bei der Allianz-Mission: Missionarin (Landesleiterin) auf den Philippinen
Bei der Allianz-Mission seit: 2002
Ich liebe an der Allianz-Mission: …dass es klar darum geht, Jesus zu verkünden, dass es in der Gestaltung, wie dies geschieht, viele Freiräume gibt, und dass der einzelne Mensch zählt.
Strand oder Berge: in der Reihenfolge
Ein Lebenstraum von mir: ein Fallschirmsprung
Manchmal kann ich nicht schlafen, wenn… die Nachbarn mal wieder lautstark ihre Karaoke erschallen lassen.
Jesus und ich: Unbegreiflich, aber wahr, und das Beste in meinem Leben

Wiebke Schmidt-Holzhüter ist Missionarin in Manila, Philipppinen

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Mai-Juli 2019) erschienen.

Das Portrait schrieb Simon Diercks, Leiter des Bereichs Communication & Media