„Wir wollten die Chancen nicht verpassen“

„Wir wollten die Chancen nicht verpassen“

Als Fabrikarbeiter kommt Albert Giesbrecht von Tadschikistan nach Deutschland und findet Zuhause. Als Christ hilft er die folgenden Jahrzehnte, dass Menschen in den Ländern Osteuropas genau das bei Gott finden. Ein Lebensbild.

Heimat ist ein fremdes Wort für Albert Giesbrecht. Als eines von zehn Kindern deutscher Aussiedler in Tadschikistan geboren, erlebten sie sich stets als fremd in der muslimisch geprägten Gesellschaft der ehemals kommunistischen Sowjetrepublik. Und sie wurden auch so behandelt. Albert wuchs mit seinen gläubigen Eltern in einer großen Baptisten-Gemeinde auf und lernte christlichen Glauben und Werte so von Kindheit auf kennen und schätzen.

Mit 15 Jahren wollte er raus aus seiner Heimatstadt Duschanbe und seine Freiheit in der weiten Welt Russlands suchen. Was er aber knapp 5000 km entfernt – in einem Berufsschulinternat nahe Moskau – fand, waren Menschen, deren Leben von Alkoholmissbrauch und anderen zerstörerischen Verhaltensweisen geprägt war. Als er nach einem Jahr zu den Sommerferien nach Hause kam, begriff er: „Wenn ich zurückgehe nach Moskau, wird mein Absturz so tief sein, dass ich nicht mehr wiederkomme.“ Im Rückblick sieht er in dieser Erkenntnis Gottes bewahrendes Reden. Landeten doch manche seiner damaligen Klassenkameraden später im Gefängnis oder verloren ihr Leben in der sogenannten Freiheit.

So blieb Albert in Tadschikistan und arbeitete zunächst in einer Autowerkstatt und später in einer Textilfabrik. Er brachte sich in der großen Jugendarbeit der Gemeinde ein und erlebte, wie Gott ihn ganz persönlich ansprach. Bei einer evangelistischen Veranstaltung berichtete ein Prediger davon, wie ein 20-jähriger Mann in den rauhen Bergen Tadschikistans tödlich verunglückte. Ihm wurde klar, dass er sich entscheiden muss. Er vertraute sein Leben mit 17 Jahren Jesus an. Eine Entscheidung, die er nie bereute.

Sein Teamleiter wurde mit seiner Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit, Fürsorge und seinem leidenschaftlichen Lebensstil für den Glauben zum prägenden Vorbild und einer Vaterfigur für Albert. Er wurde Teil eines Teams von Motorradfahrern: den „64ern“, wie sie sich nach ihrem Geburtsjahr nannten. Quer durch Mittelasien waren sie unterwegs und besuchten christliche Gruppen und Gemeinden – oft von staatlicher Seite illegal als musikalische Missionare unterwegs. Bis heute einer der schmerzhaftesten Momente von Alberts Leben war es, als 1993 sein damaliger Leiter von Islamisten brutal ermordet wurde.

Für Albert war diese prägende Reisezeit der Start für sein missionarisches Engagement, das er auch nach seinem Umzug nach Deutschland fortsetzte. Inzwischen 24 Jahre alt und verheiratet, siedelte seine Familie und andere russlanddeutsche Familien 1988 mit 20 Erwachsenen und 34 Kindern ins hessische Ewersbach um, wo sie von der Freien evangelischen Gemeinde (FeG) herzlich empfangen wurden. Auch wenn das schroffe Pamirgebirge nicht viel mit den sanften Hügeln des Lahn-Dill-Berglandes gemein haben, fühlten sie sich hier erstmals zuhause und willkommen.

Kaum ein Jahr in Deutschland, besuchte sie ein Arzt aus Weißrussland in Ewersbach und berichtete von den Umwälzungen durch die Perestroika und den damit verbundenen Möglichkeiten für die Ausbreitung des christlichen Glaubens im ehemals sowjetisch-kommunistischen Weißrussland. Sie träumten von einem christlichen Fernsehsender, zu dem es nie kam. Sie kamen aber nach Weißrussland, wo sie über die neu gewonnene Freiheit zur Evangelisation staunten. Sie verteilten Bibeln und erlebten, wie die Menschen ihnen zuhörten und alles aufsaugten, was sie vom Glauben berichteten. Zunächst wurden diese Einsätze privat von den russlanddeutschen Familien aus Ewersbach organisiert, die sich in Bussen auf die über 1700 km weite Reise machten.

Über die FeG in Ewersbach kam Albert in Kontakt mit einem Vorstandsmitglied der Allianz-Mission. Eine vollzeitige Tätigkeit als Missionar war damals für Albert nicht vorstellbar, war er doch gelernter Automechaniker und nicht theologisch ausgebildet. Aus dem Kontakt wurden gemeinsame Reisen mit der Allianz-Mission nach Weißrussland und Tadschikistan und aus dem Ehrenamt wurde schnell mehr: seinen ganzen Jahresurlaub verwandte Albert darauf, die Chancen des Umbruchs in Osteuropa missionarisch zu nutzen. Schließlich wurde aus dem Ehrenamt 1997 ein Teilzeitmissionar für Reisen ins mittlerweile vom Bürgerkrieg zermürbte Tadschikistan.

Eindrücklich erinnert sich Albert, wie sie dort eines Tages in einem vom Krieg stark zerstörten Dorf Halt machen, auf die Wand einer verbrannten Moschee den Jesus-Film projizierten und im Anschluss mit vielen Muslimen zu Jesus beteten. Sein Team erlebte sich als von Gott geführt und eingefügt in seinen Plan für Tadschikistan. Aus diesen zaghaften Anfängen entstand eine Missionsarbeit, eine einheimische Missionsgesellschaft und in Folge viele Gemeinden.

Für Albert stellte sich 2001 die Frage: Vollzeit oder mein Leben ändern? Durch die vielen Einsätze und Auslandsaufenthalte hatte er kaum noch Zeit für seine Frau und Kinder. Er entschied sich für ein dreijähriges Theologiestudium am Ewersbacher Theologischen Seminar und führte – unter großen zeitlichen Entbehrungen seitens seiner Familie – daneben die Missionsarbeit fort. Im Rückblick sieht er, wie viel sie das als Familie gekostet hat und ist dankbar, dass Gott vieles wieder gut gemacht hat.

Heute ist er Missionssekretär für Mittel- und Osteuropa, ist für Missionare von Albanien bis Russland und Projekte und Partnerschaften in den Ländern zuständig. Und für die internationale Gemeindearbeit in Deutschland. Über die Jahre hat er in über 500 Missionsgottesdiensten viele deutsche Gemeinden kennengelernt. Sein Herz brennt dafür, begeisterten Christen zu ermöglichen, sich in der Mission einzusetzen – seien es einheimische Christen oder Missionare aus Deutschland.

Auch wenn er sich in anderen Kulturen pudelwohl fühlt, macht es für ihn wenig Sinn, aus dem rein pragmatischen Gesichtspunkt der Sprache, anderswo missionarisch zu arbeiten. Alberts Glücksmomente sind es, wenn nach einer Zeit der Investition und Arbeit in einer neuen Gemeinde Menschen zum Glauben kommen. Wenn Menschen geholfen wird und Missionare befähigt werden.

Manchmal nervt es ihn, wenn einheimische Behörden wieder einmal die Missions- und Gemeindearbeit erschweren oder die Dinge einfach nicht so schnell laufen, wie er das gerne hätte. Aber, so schmunzelt er: „Da muss ich noch an mir arbeiten.“

Neben aller Missionsarbeit gibt es auch noch private Träume: gemeinsam mit seiner Frau Länder wie Südafrika oder Indonesien zu bereisen und das Leben der Eingeborenen kennenzulernen.

Albert Giesbrecht

Hier wohne ich: Dietzhölztal-Ewersbach
So alt bin ich: 55 Jahre
Meine liebste Freizeitbeschäftigung: Lesen, denken, am und im Meer sein
Mein letztes Buch: „Hass gelernt, Liebe erfahren“ (Yassir Eric)
Mein Job bei der Allianz-Mission: Missionssekretär für Südosteuropa und internationale Arbeit in Deutschland
Bei der Allianz-Mission seit: 1991 ehrenamtlich, 2001 hauptamtlich
Ich liebe an der Allianz-Mission: …dass sie eine Plattform ist,auf der Gott mir ermöglicht, ihm zu dienen
Strand oder Berge: beides
Ein Lebenstraum von mir: Eingeborene auf einer indonesischen Insel kennenlernen
Manchmal kann ich nicht schlafen, wenn … Konflikte bestehen.
Jesus und ich: der, der aus mir was macht

Albert Giesbrecht ist Bereichsleiter für Südosteuropa und arbeitet im Bereich ‚Internationale Gemeindearbeit in Deutschland‘.

Das Portrait schrieb Simon Diercks, Leiter Communication & Media

Das ausführliche Interview in unserem Podcast

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (August – Oktober 2019) erschienen.