Evangelisation im Sertão

Evangelisation im Sertão

Im ländlichen Nordosten Brasiliens läuft vieles anders – auch wie Menschen zu Jesus finden. Ein brasilianischer Pastor nimmt uns mit ins Sertão.

Im Sertão im Nordosten Brasiliens versuchen wir die Botschaft Jesu auf klare, direkte und dem jeweiligen Kontext entsprechende Art und Weise weiterzugeben. So wollen wir dem Farmer in seiner Umgebung begegnen und ihn dort abholen. Das gilt genauso für die Menschen, die in der Stadt leben und mit ganz anderen Herausforderungen kämpfen.

Die Vision, die wir heute in Bezug auf die Evangelisation im Sertão haben, unterscheidet sich von eher traditionellen Formen. Tatsächlich sind viele Menschen durch manipulative Formen, den Glauben weiterzugeben, geistlich traumatisiert.

Evangelisiere, ohne über Jesus zu sprechen.

Auch geistliche Traumata brauchen Zeit, um verarbeitet zu werden: Ich denke da an einen 70-jährigen Mann, der heute zur Gemeinde gehört, keinen Gottesdienst verpasst und am Leben der Gemeinde teilnimmt. Er war extrem wütend auf die „Gläubigen“. Diese Wut richtete sich auch gegen unsere Gemeinde. Als wir hierher kamen, sah er uns weder an noch begrü.te er uns. Aber wir brachten ihm die gute Botschaft näher, ohne direkt über Jesus zu reden. Wir gaben ihm die Zeit, die er brauchte, um einen anderen Christus durch unser Leben und unsere Einstellungen kennenzulernen.

Als dann sein Sohn starb, war es ein schwerer Verlust für ihn. Der Sohn war zum Glauben gekommen und stand kurz vor seiner Taufe. Sein Vater kam auf mich zu und bat darum, die Trauerfeier – mit Aufbahrung des Toten – in der Gemeinde durchzuführen. Im Sertão würde normalerweise niemand eine Trauerfeier mit Aufbahrung des Leichnams in der Gemeinde oder Kirche durchführen. Die Menschen würden vor Sorge nicht mehr in die Gemeinde gehen, weil da ein Toter liegt.

Trotzdem sagte ich dem Vater zu. Einer seiner Söhne suchte mich noch auf und bat, dies doch nicht zu tun, weil die Menschen die Gemeinde nicht mehr betreten würden. Aber es kamen fast 300 Menschen zum Trauergottesdienst. An der Seite des Sarges predigte ich über Jesus Christus, der starb – aber auch auferstanden ist. Dieses Zeugnis stellte die Sichtweise, die dieser Vater von Jesus Christus und seiner Gemeinde hatte, komplett auf den Kopf. Ich habe nie mit ihm über Jesus gesprochen. In unseren Gesprächen unter einem Baum habe ich ihm lediglich zugehört.

Lebe deinen Glauben durch gemeinsame Mahlzeiten.

Beim gemeinsamen Essen haben wir viel Gelegenheit, über den Glauben an Jesus ins Gespräch zu kommen und zu zeigen, wie glücklich wir sind, die Menschen in unserer Gemeinde willkommen zu heißen.

Lebe deinen Glauben durch Arbeit.

Im Sertão sehen viele die Pastoren als Leute, die nur mit der Bibel unter dem Arm unterwegs sind. In meiner Gemeinde sehen die Menschen mich nicht nur als Pastor, der am Sonntag predigt, sondern auch als Maurer, der den Bürgersteig begradigt und Reparaturen am Gebäude vornimmt; als Tischler, der für die Kirche Holzmöbel herstellt; als Schlosser, der Metallarbeiten ausführt; als Maler usw. Aus der Sicht der Menschen produzierst du etwas. Das macht einen großen Unterscheid. Kommentiert dann einer: „Der Pastor hat nichts zu tun“, antworte ich nur: „Ich war nicht immer Pastor.“ Das baut Barrieren ab und bringt uns näher zu den Menschen – gerade hier, wo sich viele Gläubige von der Arbeit abwenden.

Das Wesen der Evangelisation ist die Beziehung zu den Menschen.

Die Menschen zu akzeptieren, wie sie leben und denken, ohne auf Konfrontationskurs zu gehen. „Ich werde mich nicht ändern, auch wenn ich falsch liege“ – das ist eine übliche Redewendung. Darauf gilt es weise zu reagieren, und es erfordert viel Zeit und Geduld. Die Herzen sind oft hart.

Das Problem unserer Gemeinden ist die Abschottung. Da schließt sich jemand einer Gruppe an, wo er sich wohl fühlt. Aber es ist so schwer für ihn, anzukommen und angenommen zu werden. Außerdem sind die Christen nicht in der Lage, mit Menschen aus einem ihnen fremden Kontext in Gespräch zu kommen, andere Ideen und Lebensphilosophien stehen zu lassen. Meine Beobachtung ist, dass wir als Gemeinde Angst haben, uns unserer Umwelt auszusetzen. Fast als hätten wir die Erlaubnis und Befähigung, über Falsch und Richtig zu entscheiden, und als warteten wir darauf, dass die Verlorenen uns um Hilfe bitten.

Es gilt zu lernen…

… mit dem Glücksspieler ins Gespräch zu kommen, der Christus lieb hat und in der Gemeinde mitarbeiten möchte und dessen Wunsch es ist, dass auch andere wie er Christus kennenlernen.

… wie man mit der Frau in Kontakt kommt, die sich prostituiert. Sie möchte gerne als Sonntagschullehrerin in der Gemeinde mitarbeiten und bereitet die Stunden vor wie kein anderer, um mit den Kindern über Jesus zu reden.

… einem kritischen, hartnäckigen und misstrauischen Menschen zu begegnen, der zugleich ein begabter Prediger ist.

… mit dem Mann zu reden, der von seiner Frau betrogen wurde und das Doppelleben seiner Frau akzeptierte. Als ein Leiter in der Gemeinde lebte er damit und versucht er heute noch, sie zurückzugewinnen und leidet.

… mit denen loszugehen, die Jesus durch Jüngerschaft kennenlernen wollen, aber nicht zur Gemeinde gehen möchten.

… die Geschichten der Drogen- und Alkoholabhängigen zu hören, deren Haus voller Götzenbilder ist. Beim Betreten des Hauses fühlst Du dich schlecht, aber dein Gegenüber liebt es, dass du kommst, und weint sich an deiner Schulter aus unter der Last seiner Sucht.

Es ist so viel einfacher, sich von solchen Menschen zu distanzieren und bei denen zu bleiben, mit denen man leichter umgehen kann.

Erasmo Carlos dos Santos ist Pastor der FeG Afogado da Ingazeira in Pernambuco, Brasilien

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Feb-April 2021) erschienen.