Jesus im Turing-Test

Jesus im Turing-Test

Wie wird ein Mensch überzeugt, dass sein Gegenüber eine lebendige Person ist? Und wie kommen Menschen zum Glauben an Jesus Christus? Beiden Fragen geht Programmierer und Pastor Simon Diercks nach. Und will auch in Zukunft alles von Jesus erwarten.

Ich bin durch den Turing-Test durchgefallen. Und 170.000 Menschen haben mir dabei zugeschaut. Beim Turing-Test kommuniziert ein Mensch wechselnd mit einem unbekannten Gegenüber: einem Menschen und einem Computerprogramm – einem sogenannten virtuellen Agenten. Wenn es dem Agenten gelingt, ein Gespräch so gut zu führen, dass ihn der Mensch vor dem Computer nicht von einem wirklichen Gegenüber unterscheiden kann, dann gilt der Turing-Test als bestanden. Seit der Turing-Test 1950 erfunden wurde, haben unzählige Programmierer sich daran versucht. Und nicht wenige sind daran gescheitert.

Wie mein digitaler Doppelgänger, den ich vor 20 Jahren im Rahmen meiner ersten Anstellung für eine Unternehmensberatung programmiert habe. Und der von der vom renommierten Magazin „Wirtschaftswoche“ zum digitalen Interview gebeten wurde – das dann auch abgedruckt wurde. Einen Menschen zu überzeugen, dass er gerade einer realen Persönlichkeit begegnet, das ist mir hier nicht gelungen. Und 170.000 Leser haben mir dabei zugeschaut.

Der grundlegende menschliche Wunsch nach echter Begegnung hat sich – Siri, Alexa und sonstigen heutigen Formen virtueller Agenten zum Trotz – nicht verändert. Was sich auch nicht verändert hat, ist, dass Christen bei der Evangelisation – der Vermittlung, Weitergabe, Bezeugung ihres persönlichen Glaubens an Jesus – oft vor einer ähnlichen Herausforderung stehen. Sie wollen eine Begegnung schaffen, die einen Menschen, der Jesus noch nicht begegnet ist, davon überzeugt, dass dieser Jesus eine reale Persönlichkeit ist.

Dabei kann viel schiefgehen: Themen, zu denen ich keine Antwort habe; eine Sprache, die mein Gegenüber nicht versteht; übersteigerte Erwartungen, was jetzt alles passieren müsse: auf Jesu oder menschlicher Seite. Und das nicht selten vor Zuschauern: in der Familie, im Freundes- und Kollegenkreis, in Kleingruppen, Gottesdiensten oder bei evangelistischen Veranstaltungen, seien sie zu Tausenden oder zu zweit; analog oder digital.

Evangelisation ist kein virtueller Agent Gottes – sie bietet uns keine Werkzeuge, die einfach funktionieren und Christen produzieren. Diese nüchterne Feststellung mag ein Grund dafür sein, dass jede Generation neue Formen dafür findet. So waren es in weiten Teilen des 20. Jahrhunderts verteilte Traktate, in den 90ern Großevangelisationen wie ProChrist – wo auch ich meine Glaubensentscheidung getroffen habe – oder im letzten Jahrzehnt Ansätze wie Gesellschaftstransformation, Freundschaftsevangelisation, das konfrontative Gespräch auf der Straße oder Online-Glaubenskurse aller Couleur. Ob Gebet um Heilung, Seelsorge oder die klassische Sonntagspredigt: Evangelisation findet immer neue Formen und bedient sich immer neuer Werkzeuge. Und das ist gut so. Und trotzdem funktioniert Evangelisation nicht einfach. Sondern hat ganz viel damit zu tun, wer da wo, mit wem und wie kommuniziert. Und lebt davon, dass das Gegenüber kein Computerprogramm, sondern eine Person ist: Jesus Christus.

So divers Menschen und ihre Geschichten und Lebenskontexte sind, so vielfältig sind auch die emotionalen, intellektuellen und biographischen Wege, die sie zu einer persönlichen Begegnung mit und Glaubensentscheidung für Jesus führen.

Wie unterschiedlich diese Wege sind, ist mir als Gemeindepastor oft darin begegnet, welche Aspekte der Taufe den zum Glauben Gekommenen wichtig waren.

Für den einen geht es darum, gesehen zu sein oder eine Heimat zu finden, die nicht durch Flucht verloren geht. Ein anderer sehnt sich nach Vergebung für das, was schiefgegangen ist. Der nächsten ist es das Wichtigste, vor versammelter Gemeinde, Familie und Freundeskreis laut auszusprechen, was Jesus ihr bedeutet. Ein Neustart nach dem Zusammenbruch des eigenen Lebens oder versichernde Perspektive eines ewigen Lebens. Sich als Teil der globalen Jesusgemeinschaft zu fühlen, ein Akt des Gehorsams Gott gegenüber oder die tiefe Sehnsucht nach umfassendem Heilwerden. Ohne Anspruch auf Vollzähligkeit sind das einige der Motivationen, mit denen Frauen und Männer den Wunsch verbanden, sich taufen zu lassen.

Was in einer Freien evangelischen Gemeinde in Deutschland passiert, dass ist in globaler Perspektive nicht anders:

Menschen kommen aus so unterschiedlichen Motivationen zum Glauben, wie sie mit unterschiedlichen Fragen zu unseren Missionarinnen und Mitarbeitern kommen.

Auf einem Schiff im Hamburger Hafen spricht Volker Lamaack mit einem Seemann, der nach Monaten auf dem Meer so unendlich einsam ist und einen Halt sucht, der ihn weit weg von Familie, Heimat und der eigenen Kultur über die Ozeane begleitet.

Im „Drop-In-Center“ des Straßenkinderprojektes Pag-Asa in Manila hört ein Kind das erste Mal in seinem Leben, dass es mit Gott jemanden gibt, für den sein Leben nicht nur Abfall ist.

In einem überfüllten Gefängnis in Bamako lassen sich Gefangene in einem improvisierten Wassertrog taufen, weil sie sich danach sehnen, Freiheit zu erleben.

In gemütlicher Atmosphäre traut sich ein asiatischer Student, das erste Mal nach einem Gott zu fragen, an den zu glauben verboten ist und der sich jenseits aller kulturellen Prägung wirklich für ihn zu interessieren scheint.

Beim Verdauen des gemeinsamen Abendessens kommt der spanische Gast auf den Jesus zu sprechen, der der gesellschaftlichen Unsicherheit eine ungeahnte Sicherheit entgegenzusetzen hat.

Im Unterricht im Bildungszentrum Marinaha begreift eine jugendliche Indigene, dass dieser Gott die Kraft hat, den Kreislauf von Alkoholismus, Blutrache und Geisterglaube zu durchbrechen, der sie schon die halbe Familie gekostet hat.

In einer russischen Millionenstadt erlebt eine Müllsammlerin, dass Jesus sie von ihrer Alkoholsucht befreit, und setzt sich fortan von ganzem Herzen für ihn und seine Gemeinde ein.

Meinen Glauben ‚habe‘ ich nicht, ich lebe ihn in der Beziehung zu Jesus. Und den Glauben weitergeben, das kann ich nicht. Dafür zu sorgen, dass Jesus den Turing-Test bei einem Menschen besteht und er ihn als reale Persönlichkeit anerkennt, dazu kann ich beitragen. Das Wesentliche tut am Ende aber derjenige, der auch mein Leben zu sich geführt hat: Jesus.

Evangelisation braucht deshalb den Mut, den anderen wahr- und anzunehmen. Den Mut, meinen Glauben in Worte und Taten zu fassen. Den Mut, dass mir andere dabei zusehen, wie Jesus den Turing-Test auch mal nicht besteht. Den Mut, immer wieder neu zu vertrauen und zu erwarten, dass Gott tut, was ich nicht kann: einen Menschen zu sich bewegen und damit seine Welt verändern.

Simon Diercks ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Feb-Mai 2021) erschienen.