Die Schönheit der Langsamkeit entdecken

Die Schönheit der Langsamkeit entdecken

Missionar Rudi Schott erlebt 2020 ein Burnout. Wie unterschiedlich Definition und Entstehung sind, dazu gibt er aus seinem persönlichen Erleben Einblick: mit Weggefährten, Fokus und Motorrad.

Ein Grund für mein Burnout ist sicher, dass ich viel aus eigener Kraft gedient habe und zu wenig aus den unerschöpflichen Ressourcen des Heiligen Geistes heraus. Ein Burnout passiert, wenn der Docht brennt, aber nicht die Kerze.

Frühwarnsignale
Es gab diese Tage, an denen ich total erschöpft war, die Nächte sehr kurz waren und das Einschlafen mir schwerfiel. Auch Kopfschmerzen, die ich bis dahin nicht kannte, häuften sich mit einem Druck auf der Brust. Ich war mit Vollgas unterwegs und voller Leidenschaft in dem, was ich tat. Doch merkte ich vermehrt, dass Leidenschaft allein nicht ausreicht. Meine Frau sprach mich öfter mit sanfter Stimme an, dass ich etwas verändern sollte, doch ich vertröstete sie und brachte mein schlechtes Gewissen ihr gegenüber damit zum Schweigen.

Verharmlosung und Verleugnung
„Das kann mir nicht passieren. Ich bin reflektiert genug, um das zu erkennen. Bald haben wir Urlaub, dann ruhe ich mich aus.“ Doch leider waren die Urlaube zu kurz und genügten nicht, um den Akku aufzuladen. Ich glaubte, es sei nur eine Phase, und um sie schnell hinter mir zu lassen, gab ich meinem inneren Antreiber noch mehr Freiraum, mich zum Getriebenen zu machen.

Geschwindigkeit erhöht
Statt Aufgaben zu reduzieren oder mich zu fokussieren, versuchte ich sie schneller zu erledigen. Webinare oder Vorträge hörte ich in doppelter Geschwindigkeit. Die Autofahrten nutzte ich, um Telefonate abzuarbeiten. Hobby und Zeiten mit der Familie wurden gestrichen. Das Essen geschah meist nebenbei. Ich dachte, ich müse schneller werden, und bemerkte nicht, wie die „Säge“ immer stumpfer wurde.

Angst vor dem Versagen
Allmählich dämmerte mir, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt. Die Depressionen wurden stärker, dauerten länger an und die Abstände wurden kürzer. Tage der tiefen Hoffnungslosigkeit und ohne inneren Antrieb ließen mich immer wieder in ein dunkles Loch fallen. Es brauchte zunehmend mehr Energie, um die Arbeit aufzuholen. Um meine Depression vor den Mitmenschen zu verstecken, musste ich einige Termine wiederholt verschieben, gekoppelt mit eigener Scham und dem Gefühl, zu versagen. Mir wurde klar: Ich muss mich dem Ganzen stellen – doch die große Angst war da, wie mein Umfeld, meine Vorgesetzten, Freunde und meine Kollegen es auffassen würden. Ich hatte Angst, Verantwortung und Kompetenz zu verlieren oder als schwach und hilflos angesehen zu werden.

Hinein in den Schmerz
Dank meiner Frau, die mich mit Stärke und Treue ermutigte und ausgehalten hat, fasste ich Mut, mir professionelle Hilfe zu suchen. Das wurde aller höchste Zeit. Mit viel Ungewissheit und auch einer Art Erleichterung machte ich mich auf den Weg in die Klinik. Die Konfrontation mit mir selbst war teils sehr schmerzhaft und erschreckend. Plötzlich nur mit Gott und mir allein zu sein, fühlte sich erstmal sehr nackt an. Wer bin ich? Was kann ich? Was macht mir Freude? Fragen, auf die ich keine Antworten hatte.

Hoffnungsschimmer
Nach einigen Wochen kamen Kraft und das Gefühl von echter Freude und Zufriedenheit zurück. Achtsam nahm ich wahr, was ich früher in der Hektik übersehen hatte. Langsam fand ich zu meinem Selbstbewusstsein zurück. Die Therapie und der Klinikaufenthalt taten mir sehr gut und halfen. Zuversichtlich verließ ich vorzeitig auf eigenes Drängen hin die Klinik. Zuhause angekommen, stürzte ich mich wieder voller Elan in die Arbeit. In einem Rekordtempo arbeitete ich meine unbeantworteten Mails ab. „Rudi is back“ – das war, was ich dachte.

Der Rückfall
Nach drei Tagen die böse Ernüchterung. Ich fiel in eine tiefe Depression. All der Schmerz und die Hoffnungslosigkeit brachen über mich herein. Ich hatte scheinbar nichts gelernt. Statt mich umzustrukturieren, hatte ich einfach so weiter gemacht wie zuvor. Das rächte sich nun bitter. Erneut musste ich durch den Schmerz und das Gelernte in der Klinik mühsam festigen – verbunden mit der großen Angst, es niemals wieder zu schaffen.

Perspektive
Dann taten sich langsam Perspektiven auf. Ich reflektierte meine Aufgaben und Strukturen. Ich erbat von Jesus Klarheit, worauf ich mich konzentrieren sollte. Einige Aufgaben wurden delegiert oder neu besetzt. Im April 2021 durfte ich nach neun Monaten Krankenstand die Arbeit wieder aufnehmen. Diesmal fokussiert und nur Teilzeit.

Auf und Ab
Schritt für Schritt lerne ich, mich den Anforderungen des Alltags wieder zu stellen. Ich erlebe Tage, an denen ich mich freue, wieder Verantwortung zu übernehmen, doch es gibt auch die Frustration und die Enttäuschung, dem eigenen Standard nicht zu genügen. Alles geht mir zu langsam, die Konzentrationsphase ist kurz. Immer wieder lerne ich, mir zu sagen: Es ist ein Prozess.

Das neue Normal akzeptieren und gestalten
Seit Januar 2022 bin ich wieder 100 % arbeitsfähig. Es ist nicht mehr dasselbe, aber muss es das sein? Nein! Ich bin dankbar für den Moment und entdecke die Schönheit von Langsamkeit und Tiefe. Ich freue mich, dass Gott in diesem Prozess mein bester Weggefährte ist. Meine neu gelernten Freiheiten: Ich muss mich nicht beweisen und kann gelassener Aufgaben delegieren. „Neinsagen“ und „Fokus“ sind meine neuen Superwaffen, um mich wieder in die Aufgaben hineinzufinden. Ich befähige andere und lerne, geduldig mit mir und anderen umzugehen. Und wenn es mir mal wieder zu langsam geht, setze ich mich auf mein Motorrad…

Was ich festhalte

  • Tiefe Beziehungen brauchen Pflege, damit sie auch in der Krise tragfähig sind.
  • Sei großzügig in Ermutigung und Wertschätzung.
  • Fokussiert und achtsam zu leben hat Kraft.
  • Demut gibt uns Gelassenheit und Freiheit, damit aufzuhören, etwas sein zu wollen, was wir in Wirklichkeit nicht sind.
  • Mehr Gott – weniger ICH.

Rudi Schott ist Missionar in Wien, Österreich

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Mai – Juli 2022) erschienen.