Offen scheitern

Offen scheitern

Michael Soldner erlebt, wie aus einer blühenden Gemeinde eine schrumpfende Gemeinde wird. Dabei lernt er es zu schätzen, offen über Scheitern zu sprechen.

Wollen wir wirklich über Scheitern reden? Das ist doch etwas, was man lieber alleine und für andere unbemerkt macht. Ich kann mich gut an meine Lehrzeit als Schreiner erinnern: daran, wenn etwas nicht geklappt hat und ich versucht habe, möglichst leise vor mich hin zu schimpfen und das ganze wieder in Ordnung zu bringen. Hat jemand zu laut geflucht, dann konnte man sich sicher sein, dass einige neugierige Augenpaare ankamen und die Frage: „NA, KLAPPT`S?“ durch die Werkstatt hallte. Beim Scheitern bin ich gerne alleine, bis es wieder halbwegs läuft.

Das ist kein wirklich gesunder Umgang mit Problemen, doch vermutlich bin ich mit diesem Verhalten nicht alleine.

Ein Zeitsprung ins Jahr 2020. Nicht in den Teil mit Corona und Lockdown, sondern in die zwei zuvor liegenden, wunderschönen Monate Januar und Februar. Die Welt war wunderbar und die Gemeindearbeit in Brixen blühte. Die Ziele für den Term 2019/20, welche ich mit meinem Landesleiter ausgemacht hatte, waren Anfang 2020 schon fast erreicht, die Gemeinde stand so stabil da wie schon länger nicht, wir hatten einen Leiterkreis von acht jungen Menschen eingesetzt und die Besucherzahlen entwickelten sich nach oben. Ja, ich wusste, in der nächsten Gemeindeversammlung müssen wir auch über theologische Fragestellungen diskutieren, aber auch da war ich zuversichtlich.

Der Lockdown kam, wir haben die Gemeinde auf hybrid umgestellt und für Versammlungen und Aussprachen nutzten wir Zoom. Auf der sachlichen Ebene ist Zoom ganz brauchbar, für Emotionen eher nicht und das „Sich-gegenseitig-Spüren” geht leider verloren.

Am 17. Januar 2021, am Tiefpunkt, sitzen von vormals rund 50 Gottesdienstbesuchern gerade mal 15 vor mir. Von den 13 Kindern und Jugendlichen kommen noch vier. Sie sind Geschwister. Und da sind wir wieder bei dem Eingangsthema: Scheitern.

Ich bin sehr dankbar, dass es in der Allianz-Mission nicht üblich ist, ein ironisches „NA, KLAPPT´S?“ an den Kopf geworfen zu bekommen. Außerdem wurde mir der Wert von Member Care bewusst. In der Zentrale gibt es Menschen, mit denen ich die Situation gut analysieren konnte, weil sie Ähnliches erlebt hatten.

Als Drittes ist es mir wichtig, solche Erlebnisse nicht mit Küchenpsychologie a là „Wenn das Leben dir Zitronen gibt …“ oder schnellen Bibelversen im Stil von: „Denen, die Gott lieben, wird alles zum Besten dienen …“ zu verdrängen.

In unseren Hauskreisen gehen wir zurzeit den Römerbrief durch und in diesem Zusammenhang kamen wir auf Karl Barth und folgendes Zitat von ihm: „Wir sollen beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.“ Oder wie Paulus in 1. Korinther 10,31 sagt: „… tut alles zur Ehre Gottes.“ Danach richte ich mich aus – das Scheitern, aber auch die neuen Aufbrüche. Das ist es, was mich mit dem Scheitern versöhnt: das Streben danach, zu erkennen, wie Gott sich gerade durch unser Scheitern verherrlicht.

Michael Soldner ist Missionar in Brixen, Italien

Der Artikel ist in unserem Magazin move (Mai – Juli 2022) erschienen.