700 Gottesdienstbesucher und die Angst, zu bleiben

700 Gottesdienstbesucher und die Angst, zu bleiben

Yurii hat Angst um sein Leben und alle Mitglieder seiner Gemeinde in der Region Donezk sind geflohen. Trotzdem kommen sonntags bis zu 700 Menschen in die Gottesdienste und viele zum Glauben. Simon Diercks im Gespräch mit dem Pastor einer Gemeinde unseres Partnerbundes in der Ukraine.

In Deutschland hören wir viel von Kämpfen und dem Vormarsch der russischen Truppen in der Region Donezk – wie ist die Situation in deiner Stadt?

Die Situation ist ernst. Unser Bahnhof wurde vor kurzem von Russland bombardiert und viele wurden getötet. Danach haben sich viele Menschen entschlossen, unser Land zu verlassen. Heute gibt es noch 40.000 Menschen, die bleiben wollen, aber es gibt immer weniger Lebensmittel und Benzin. Heute wurde uns das Gas abgestellt, und die Leute machen sich Sorgen, wie sie kochen können.

Danke für den Einblick. Das ist die eine Seite der Situation. Auf der anderen erlebst du auch Erweckung in deiner Kirche. Viele, viele Menschen besuchen die Sonntagsgottesdienste und manche von ihnen geben ihr Leben Christus.

Ja, das ist wahr. Vor der Invasion aus Russland hatten wir nur einen Gottesdienst, momentan drei. Wir laden Leute ein und verteilen Lebensmittel. Aktuell kommen jeden Sonntag etwa 700 Leute. Und sie sind offen. Diese Art von Erweckung haben wir noch nie gesehen. Gott kann diesen Krieg benutzen, um Menschen zu ihm zu bringen. Ich verstehe, dass die Leute wegen der Lebensmittel kommen, aber jedes Mal, wenn wir das Evangelium verkünden, sind die Menschen offen und innerhalb von vier Wochen wurden 34 Menschen getauft.

Erzähl uns ein wenig über deine Kirche, bevor der Krieg begann.

In unserer Kirche waren etwa 65 Leute, eine kleine Kirche. Mittlerweile sind sie alle geflohen. Die 700 Leute, die sonntags kommen, sind neu. Nächsten Sonntag werden wir keine Lebensmittel verteilen, sondern sie einladen, sich vor Christus niederzuwerfen. Und wir werden sehen, wie viele Menschen kommen werden.

Du hast berichtet, dass du Angst hast, zu sterben, und dich gleichzeitig von Gott gerufen fühlst, zu bleiben. Wie lebt es sich mit dieser Spannung?

Als Menschen sind wir emotional. Wenn ich die Schüsse höre, kommen meine Gefühle und rufen mich, zu gehen. Aber es ist meine Entscheidung, denn all diese Menschen brauchen jemanden, der sie zu Christus führt. Es ist keine leichte Entscheidung: Meine Frau und ich haben zwei Kinder und manchmal sagt sie: „Vielleicht ist es an der Zeit, dass du für immer gehst.” Weil die russischen Truppen immer weiter vorrücken. Wenn ich allein wäre, wäre es viel einfacher für mich, diese Entscheidung zu treffen. Ich bitte Gott, mir Weisheit zu geben, und vielleicht wird er mir eines Tages sagen, dass ich diese Stadt verlassen muss.

Was wird von den Menschen, die in Kramatorsk geblieben sind, und von den Flüchtlingen, die dort ankommen, am meisten benötigt?

Lebensmittel, aber auch Gas und Öfen, um zu heizen und kochen.

Wofür können wir beten?

Beten Sie weiter, dass Menschen gerettet werden und Jesus annehmen. Beten Sie, dass diese Erweckung weitergeht. Beten Sie für meine Sicherheit und dass wir in der Lage sein werden, Lebensmittel und Hilfsgüter wie Medikamente für die Leute zu finden.

Und ich möchte auch allen Deutschen „Danke” sagen, dass sie weiterhin Flüchtlingen aus der Ukraine helfen. Ich danke Ihnen sehr. Vor allem helfen Sie schon jetzt, meiner Frau, die mit meinen Kindern in Deutschland bei einer christlichen Familie untergekommen ist. Danke!

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (August – Oktober 2022) erschienen.

Im Podcast

Ute Klaas und ihr Mann aus der FeG Wiesbaden haben vor einem Monat neue Mitbewohner bekommen: Mit einer ukrainischen Mutter und ihren beiden Kindern teilen sie seitdem den Haushalt und freuen sich am Zusammenleben.

Unser Mitarbeiter Albert Giesbrecht war in der Westukraine und berichtet, wie Gemeinden dort Erweckung erleben, wie Flüchtlinge Hilfe und Aufnahme finden und viele von ihnen zum Glauben kommen. Albert hat mit einem Team einen aus Spenden finanzierten Kleinbus dorthin gebracht, den die Gemeinde vor Ort für die sozialdiakonische Hilfe und für den Transport von Menschen aus den Kriegsgebieten nutzen wird.

Ján Henžel empfindet es als Privileg, dass die postkommunistische Slowakei nach vielen Jahren, in denen die Gemeinden immer Hilfen empfingen, nun selbst Hilfe geben kann. Ján ist Generalsekretär der „Rady Cirkvi bratskej”, unseres Partnergemeindebundes in der Slowakei.