JESUS auf Netflix

JESUS auf Netflix

Warum erreichen christliche Medien im Fernsehen nicht Millionen von Zuschauern? Martin Nowak ist Regisseur und spricht über Antworten und seinen Wunsch nach einer christlichen Comedy-Sendung.

Martin, welche Produktion, die du selbst gemacht hast, hat dich am meisten bewegt?

Eine kurze Dokumentation mit dem Titel „Geisterkinder“ über ein Mädchen, das im KZ war, weil die Großmutter von mit dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler zu tun hatte. Ihr Tagebuch wird auf dem Dachboden ihrer Enkelin gefunden und das haben wir verfilmt. Eine sehr eindrückliche Geschichte und schöne Dreharbeiten.

Deine Leidenschaft ist es, mit bewegten Bildern Geschichten zu erzählen. Wie kam es dazu?

Ich bin in der Gemeinde meiner Eltern im Ruhrgebiet groß geworden. Wir hatten in der Gemeinde eine VHS-Videokamera und ich hatte einen kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher daheim. Dann habe ich diese Kamera an den Fernseher angeschlossen und mit einfachsten Mitteln meinen ersten Film mit 17 Jahren gedreht. Schon damals hat mich das Medium interessiert und ich dachte: Wenn man im Fernsehen mal was Evangelistisches machen würde, das wäre der Knaller. Damals habe ich Gott versprochen:

„Wenn du mich zum Fernsehen bringst, dann mache ich die ganz großen Sachen für dich.“

Du bist beim Fernsehen gelandet und hast Regie geführt bei über 2.000 Produktionen, von Boulevard Bio bis Stadtklinik. Was hast du gelernt?

Beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen habe ich als Quereinsteiger angefangen. Meine Fernsehkarriere begann als Kaffeekocher und Best Boy (Assistent des Ausleuchters am Filmset). Aber ich konnte schon nach kurzer Zeit eine Ausbildung zur Fernsehregie machen beim Westdeutschen Rundfunk und war dann dort einige Jahre festangestellter Fernsehregisseur. Dort wird zwar auch nach Quote geguckt, aber es gibt einen gewissen Programmauftrag: Bildung, Information, Nachrichten. Nur sind das beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen sehr große Läden mit vielen Mitarbeitenden, da dauert es lange, bis Entscheidungen getroffen werden.

Das war auch mein Grund, weshalb ich dort gekündigt habe. Aber beim Privatfernsehen gibt es eben keinen Programmauftrag. Die senden das, was ihre Zielgruppe gucken will. Wenn du in dieser Maschinerie drin bist, dann ist es ein großer Druck. Da hieß es: „Du machst das, wir haben fünf Millionen Zuschauer, wir brauchen aber neun. Du hast drei Monate Zeit.“ Positiv muss ich sagen: Es hat meine Persönlichkeit sehr geschult, jahrelang unter so einem Erfolgsdruck zu arbeiten. Und dort habe ich von der Pike auf gelernt, wie man eine Zielgruppe bedient.

Was an einem Dreh macht dir am meisten Freude?

Am ersten Tag als Kaffeekocher am Filmset wusste ich in den ersten fünf Minuten: Das ist meine Welt. Diese Atmosphäre in so einem Team, wenn du für 20 bis 30 Tage in einer Parallelwelt bist. Und der kreative Prozess: Du hast als Regisseur ein ganz bestimmtes Bild von der Szene, die du drehen wirst. Und dann hast du Tools, das Team und viel Technik, um genau deine Vorstellung umzusetzen. Und mit Glück – was einfach ein tolles Gefühl ist– gucken sich das zehn bis 15 Millionen Leute an.

Du erlebtest eine radikale Lebenswende …

Ich habe eine klassische Verlorener-Sohn-Geschichte: Ich bin in dieser konservativ-charismatischen Gemeinde groß geworden. Es kam der Punkt mit 23 Jahren, da habe ich mich komplett dagegen entschieden, weil mir das alles zu eng war. Nicht gegen Gott. Ich habe nicht den Glauben verloren. Ich habe an einem Abend gesagt:

„Ab morgen, lieber Gott, bin ich weg. Ich will die Welt ausprobieren.“

Ich habe dann 20 Jahre so gelebt und es sind leider viele Sünden dazugekommen. Trotzdem hat Gott mich in dieser gemeindelosen Zeit sehr gesegnet: Meine Fernsehkarriere ging steil und viele Türen gingen auf, wo ich heute sage: Da waren viele Wunder dabei. Ich war sehr erfolgreich, hatte Geld, ein geiles Leben. Aber Gott kam einfach so – ohne Grund. Ich habe keine Stimme gehört, aber es war wie ein fast körperlicher Eindruck, der mich auf den Boden geworfen hat: „Du hast mir vor 25 Jahren dieses Versprechen gegeben – was ist daraus geworden?“

Ich habe so eine tiefe Buße erlebt, wie ich das kaum beschreiben kann. Habe mir eine Bibel gekauft und noch mal ganz neu angefangen. Habe dann meine jetzige Frau kennengelernt, sehr spät geheiratet und habe jetzt eine Doppelhaushälfte in Mettmann mit Grill im Garten: Spießiger geht’s nicht und ich bin trotzdem super zufrieden damit. Ich habe Glück gehabt, dass Gott mich zurückgeholt und -genommen hat.

Heute machst du Produktionen für Bibel TV, christliche Organisationen, demnächst auch für die Allianz-Mission. Was begeistert dich? Was nervt?

Nach meiner Bekehrung habe ich gedacht, ich arbeite jetzt natürlich für Gott. Vor 20 Jahren fing es gerade an mit Bibel TV, es gab auch den ERF in Wetzlar. Das hat aber in den ersten Berührungen überhaupt nicht funktioniert: Ich kam aus einer völlig anderen Welt, hatte einen anderen Jargon drauf und war ein anderes Arbeitstempo gewohnt. Ich habe dann zehn Jahre lang Unternehmen beraten.

Und dann kam wieder Gott: „Was machst du jetzt mit diesem Versprechen und deinem Talent?“ Ich habe gesagt:

„Ich wickle jetzt alle meine säkularen Jobs ab und mache jetzt nur christliches Fernsehen oder zumindest ethisch Wertvolles.”

Der erste, mit dem ich damals etwas machte, war Ulrich Parzany: Er sagte, er wolle, bis er tot umfällt, die Bibel noch durchpredigen. Und wir haben inzwischen 800 Folgen „Bibellesen mit Ulrich Parzany“ produziert.

Das hat sich in der christlichen Szene herumgesprochen wie ein Lauffeuer. Es kamen immer mehr NGOs, Hilfswerke und Verlage dazu, für die wir dann von Musikvideos über Buchvorstellungen bis zu Dokumentationen alles Mögliche gedreht haben.

Ich will auch jetzt nicht so tun, als hätte ich die Weisheit mit Löffeln gefressen: Es ist toll, dass es Möglichkeiten gibt wie Bibel TV. Als sie anfingen, haben wir als Medienmacher ein bisschen gelacht. Aber ich finde, inzwischen haben sie sich ganz schön gemacht und ihre Reichweite vergrößert. Und sind auf der Suche nach neuen Programmen und innovativen Ideen. Was mich auch freut, ist, dass es viele, viele Leute gibt, die initiativ werden und ihren eigenen YouTube-Kanal gründen, oder Gemeinden, die ihren Livestream machen.

Was mich nervt, ist, dass ich immer wieder feststelle, dass viele nicht zielgruppenorientiert arbeiten. Wenn ich auf Social Media etwas produziere für einen Kunden und die haben dann 100.000 Abrufe – dann sind die völlig crazy (deutsch: verrückt). Wir hatten damals, wenn wir z.B. „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ produziert haben, die Vorgabe, jeden Tag mindestens acht Millionen Zuschauer zu haben – jeden Tag. Warum sind wir Christen nicht zahlenmäßig erfolgreich? Warum laufen unsere Produktionen nicht beim ZDF, bei RTL oder bei Netflix? Warum gelingt das hier in Deutschland nicht? Allein am Geld liegt es nicht.

Was ich schade finde bei vielen jungen Leuten: Sie haben viel Motivation. Ihnen fehlt aber leider oft die richtige Ausbildung. Die machen zwar viel, schneiden ihren Film zusammen und können auch mit ihrer Kamera toll umgehen. Aber sie haben eben wenig gelernt, Dramaturgie und Geschichten im Sinne von Storytelling wirklich aufzubauen. Was können wir tun, damit da etwas passiert? Das bisschen, was ich da mache, ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein: zweimal im Jahr einen kleinen Workshop für fünf bis zehn Leute. Zusammengefasst: Ich bin nicht zufrieden mit der christlichen Mediensituation in Deutschland.

Neben deiner eigenen Produktionsfirma bluefish.media hast du auch eine Christliche Medien-Stiftung auf den Weg gebracht. Was wird damit in den nächsten fünf Jahren möglich sein?

Wir versuchen schon, preiswert zu produzieren, weil es uns nicht in erster Linie ums Geld geht. Wir sind gesegnet mit vielen Aufträgen und müssen nicht dauernd Aufträge suchen. Wir machen auch manche Produktionen pro bono (kostenlos), weil der Kunde nicht genug Mittel hat.

Lasst uns doch mal innovative neue Formate angehen. Die Ideen sind da, auch viele Möglichkeiten, aber da fehlt es dann doch leider am Geld. Da müssen wir eine Möglichkeit finden, dass Leute uns Geld spenden können, das wir dann für christliche Produktionen verwenden können. Es sollte auch im christlichen Bereich eine Förderung geben, mit der man wirklich gute Filmprojekte umsetzen kann. Da sehe ich eine große Chance und bin im Gespräch mit einigen Großinvestoren. Ich glaube wirklich daran, dass es möglich wäre, Netflix oder RTL zu bestücken mit solchen Formaten.

Wir haben die beste Message der Welt und kriegen sie nicht so verpackt, dass sie zehn Millionen Leute gucken würden?

Das ist mir wirklich ein Anliegen. Ich habe 20 Jahre lang Millionen von Menschen mit allem möglichen Mist erreicht. Dann wird es doch möglich sein, Millionen von Menschen mit Gottes Wort zu erreichen. Klar, man muss die Produktionsmittel und die richtigen Leute haben. Aber da sind wir dabei und das ist meine Vision! Reden wir in fünf Jahren.

Was sind Kriterien für gute christliche Formate? Das muss nicht unbedingt technisch ausgetüftelt sein. Es muss gut sein im Sinne von innovativ – es muss die Leute ansprechen. Nicht das Übliche. Lasst uns z. B. mal über eine christliche Trash-Sendung nachdenken. Und dann: „Wir haben das gestartet, es gucken sich jeden Tag sieben Millionen Leute an und fünf haben sich bekehrt.” Dann ist es gut so. 15 wären besser, 50 noch besser. Viele haben zumindest mal über Glauben und Gott und Jesus nachgedacht, um dann irgendwo aufgefangen zu werden. Auch eine christliche Comedy-Serie wäre okay.

Was rätst du Menschen, die im Bereich Bewegtbild gut werden wollen, um andere für Gott zu begeistern?

Früher hätte ich gesagt: Lass das mal mit dem Studium. Das würde ich heute anders sehen. Bei allem Talent, bei aller Kreativität sollte man schon gucken, dass man eine Ausbildung bekommt. Egal, in welchen Bereich man will, ob Regie, Kamera, Schnitt oder doch eher inhaltlich. Es ist ein Beruf, den man richtig lernen muss: das ganze Thema Storytelling, Dramaturgie, Plot Points, Cliffhanger aufzubauen. Das muss man lernen – am besten in einem entsprechenden Studium oder in der Mediengestalter-Ausbildung.

Welchen einen Satz gibst du unseren Lesern mit?

Als ich ein junger Kerl war und meine ersten Möglichkeiten hatte, Regie zu machen an einem kleinen Theater, sagte mir die strenge ältere Theaterleiterin: „Bleib wach!“ Das gebe ich weiter: Bleibt wach, und lasst die Augen und Ohren offen und reagiert auf alles, was auf euch zukommt.

Das Gespräch führte Simon Diercks

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (August – Oktober 2022) erschienen.

Das ausführliche Interview im Podcast