Bedroht, gefoltert und befreit

Bedroht, gefoltert und befreit

Ein Pastor erlebt mit seiner Familie den Kriegsausbruch in der Ukraine und die russische Besatzung in seiner Stadt. Trotz Inhaftierung und Folter helfen sie den Menschen ihrer Region und erleben auf der Flucht Gottes Eingreifen.

Am 24. Februar 2022 wachten wir von starken Explosionen auf. Wir lebten in einer Stadt in der Nähe von Mariupol. Drei Tage später wurde sie vollständig vom russischen Militär eingenommen. Ich bin Pastor einer Kirche dort. Die Hälfte der Gemeinde hat die Stadt verlassen. Wir wollten bleiben und den Menschen so lange wie möglich dienen.

Während der Besatzung half unsere Kirche den Bewohnern von Mariupol. Wir machten Essen für die Menschen, die in der Kirche oder in Schulen untergekommen waren. Es war kalt. Seit Beginn des Krieges hatten wir kein Gas und keine Heizung. Ein Christ aus unserer Gemeinde brachte – manchmal unter Beschuss – Medikamente und Lebensmittel aus dem Landesinneren jenseits der Frontlinie. Unsere Stadt war blockiert und er brachte auch Menschen heraus.

Und wenn wir nicht glücklich mit euch sind, werdet ihr uns töten?

Eines Abends stürmten Bewaffnete in den Hof der Kirche. Sie stellten mich und einen anderen Christen an die Wand und drohten, uns zu erschießen. Sie warfen uns vor, Waffen zu schleusen. Wir erklärten, nur mit Lebensmitteln und Medikamenten zu helfen. Nach ein paar Stunden Geschrei und Drohungen gingen sie. Einen Tag später kamen sie wieder. Sie hatten den Fahrer verhaftet und wussten, dass er einen ehemaligen ukrainischen Militärangehörigen transportiert hatte. Sie beschuldigten uns, dass wir diesem Mann mehrere Wochen lang geholfen hätten. Sie drohten, mir in die Beine zu schießen. Nach vier Stunden ließen sie mich gehen. Gott sei Dank wurde die Kirche nicht geschlossen. Der Fahrer war 43 Tage lang in Gefangenschaft und wurde gefoltert, konnte aber dann zu seiner Familie zurück.

Am 8. März 2024 brachen Militärs in unsere Wohnung ein. Sie durchsuchten alles und beschuldigten uns, dem ukrainischen Militär Unterschlupf zu gewähren. Sie brachten mich ins Gefängnis. Am zweiten Tag zogen sie mir einen Sack über den Kopf, fesselten mich an einen Stuhl und schlugen mich. Sie verhöhnten mein Vertrauen in Gott und beschuldigten mich diverser Vergehen. Sie sagten, sie hätten uns befreit. „Aber wie?“, fragte ich mich: „Ihr habt unsere Städte zerstört, ihr tötet uns, ihr entführt uns, ihr foltert uns. Und wir sollten dankbar sein für diese Freiheit. Und wenn wir nicht glücklich mit euch sind, werdet ihr uns töten?“

Sie banden mir Drähte um die Hände, versetzten mir Elektroschocks und lachten. Sie drohten, meine Familie zu töten. Sie drückten mir eine Granate in die Hand und sagten, wenn ich versuchen würde, die Stadt zu verlassen, würden sie mir etwas anhängen und mich für zwölf Jahre ins Gefängnis stecken. Danach kam ich wieder in die Bestrafungszelle.

Viele Menschen beteten für uns. Ich erinnere mich, wie ich stundenlang in der Zelle gebetet habe und die unglaubliche Gegenwart Gottes spürte. Es war, als wären die Gefängnismauern verschwunden und Tausende von Menschen um mich herum. Ich spürte ihre Gebete und dass Gott mich umarmt und mein Herz mit Frieden erfüllt.

Am nächsten Tag ließen sie mich unter der Bedingung frei, dass ich sie über die Menschen, die in unsere Stadt zurückkehren wollten, informiere. Sie nahmen unsere Pässe, sodass wir nicht ausreisen konnten. Sie kamen jede Woche nachts und beschimpften mich, ihnen die benötigten Informationen nicht zu geben.

Wir wollten unsere Leute nicht verlassen, aber wir wollten eine Antwort von Gott bekommen. Zu dieser Zeit verbot man uns, uns in unserem Gebäude zu versammeln, darum versammelten wir uns in kleinen Gruppen zu Hause. Freunde warnten uns, in der Stadt zu bleiben. Mir war klar: Wir müssen hier weg, sonst komme ich ins Gefängnis. Aber wie ohne Papiere? Wir haben gefastet. Wir wollten unsere Leute nicht verlassen, aber wir wollten eine Antwort von Gott bekommen. Als ich um die Rückgabe unserer Pässe bat, wurden sie wütend. Doch nach mehreren Tagen des Betens und Fastens kamen sie zu mir und gaben uns die Pässe zurück. Wir erkannten dies als Antwort Gottes, packten unsere Sachen und fuhren los.

Wir fuhren zwei Tage lang ohne Pause durch Russland und überquerten schließlich die Grenze nach Europa. Wir hatten Angst, dass sie mich auf die Fahndungsliste setzen würden und ich an der Grenze verhaftet werden würde. Aber die Frau, die alles durchsuchte, fand eine Bibel und begann streng zu fragen, was das für ein Buch sei. Ich sagte, das sei die Bibel. Sie fragte, ob ich sie gelesen hätte. Ich sagte „Mehr als zehn Mal.“ In diesem Moment veränderte sich ihr Blick und sie sagte: „Ich konnte sie noch nicht einmal lesen. Ist es wahr, dass sich deine Weltanschauung ändert, wenn du sie liest?“ Ich sagte: „Oh ja! Dieses Buch wird dich definitiv verändern.“ Und ich begann, ihr von Jesus zu erzählen! Danach erlaubte uns ein Geheimdienst-Offizier, Russland zu verlassen. Er sagte, es sei ein Wunder, dass wir alle Kontrollen in fünf Stunden bestanden hätten, was normalerweise über 20 Stunden dauert.

Die Gemeinde hat unsere Abreise verstanden. Sie treffen sich weiter in den Häusern und ich unterstütze sie in wöchentlichen Videokonferenzen. Beten Sie für ihre Sicherheit.

Der Autor ist Pastor einer ukrainischen Gemeinde und lebt nun in den Niederlanden

Der Artikel ist in unserem Magazin move (August – Oktober 2024) erschienen.