Mehr als Gebäude

Mehr als Gebäude

Ersetzt digitale Gemeinde alles Vorherige? Wie und für wen sind digitale Formen von Kirche geeignet? Und was lebt hier schon? Simon Diercks ist Teil einer digitalen Gemeinde und wünscht sich noch viel mehr digitale Gemeinden.

Kein Ersatz und mehr als Livestream

Nein, digitale Gemeinde wird analoge Gemeinde nicht ersetzen. Sicherlich wird analoge Gemeinde zukünftig stärker zu hybrider Gemeinde werden, also auch online leben. Es braucht aber Gemeinden vor Ort weiterhin: Es braucht Menschen und Gemeinschaft zum Anfassen und analoge Begegnungen, Taufen und Begleitung. Digitale Gemeinde ist kein Ersatz für analoge Gemeinde, sie ist zusätzlich.

Und ja, digitale Gemeinde ist mehr als abgefilmte analoge Gottesdienste. Viele denken bei digitaler Gemeinde erst mal an hybride Gemeinde, die sich auch mal online trifft. Wenn ich hier von digitaler Gemeinde schreibe, dann geht es um Formen von christlicher Gemeinde, die zuerst einmal vollständig digital stattfindet.

Digitale Gemeinde lebt

Erste Formen rein digitaler Gemeinde leben schon – in Deutschland und weltweit. Mit der betaKirche ging 2021 die erste digitale Gemeindegründung im Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG) an den Start. Der Evangelische Gemeinschaftsverband Hessen-Nassau geht mit dem Live-Podcast „Connect Cast“ Schritte in Richtung digitale Gemeinde und quer durch die Konfessionen denken manche mehr über digitale Gemeinde nach: sei es auf Social Media oder im Metaverse.

Doch bislang sind es wenige, die hier vorangehen. So bestätigte mir auch der US-Amerikaner Jeff Reed, Leiter des Netzwerks digitaler Gemeinden „The Church Digital“, dass es in den gesamten USA seiner Einschätzung nach bislang maximal 50 digitale Gemeindegründungen gibt. Im europäischen Kontext sind mir nur einige wenige Initiativen z. B. aus Tschechien und Finnland bekannt.

Was digitale Gemeinde ausmacht

Dabei liegen hier so viele Chancen für Gottes Reich: Digitale Formen von Gemeinde können Menschen die Teilnahme ermöglichen, die analoge Gemeinde nicht besuchen können oder wollen. Sei es, weil sie negative Erfahrungen gemacht haben, Kleinkinder versorgen oder Angehörige pflegen, als Schichtarbeiterin es nicht in eine Gemeinde schaffen oder als digitaler Nomade an Orten leben und arbeiten, wo es keine Gemeinde für sie gibt.

Digitale Gemeinde kann nicht alles: Arbeit mit Kindern, Seelsorge, diakonische Unterstützung kommt hier ebenso an Grenzen wie Kindersegnung, Taufe und Trauung bis zur Beerdigung – manche Dinge brauchen analoge Begegnung. Aber sie kann flexibel und mitten im Alltag an jedem Ort die Teilnahme ermöglichen: ein Gottesdienst am Sonntagabend auf der Couch, eine asynchrone Gebetszeit als Podcast, ein Bibelgesprächskreis per Videokonferenz.

Digitale Gemeinde ist grenzenlos: seien es Seeleute, Geschäftsreisende, verfolgte Christen oder Aussiedler – online können sie sich verbinden. Auch für Menschen mit gesundheitlichen oder sozialen Einschränkungen kann sie die einzig lebbare Form von Gemeinde sein. Zukünftig werden durch die Echtzeitunterstützung von künstlicher Intelligenz auch Sprachbarrieren kein Hindernis mehr sein.

Deshalb braucht es mehr digitale Gemeinden – für all jene Menschen, denen ein geistliches Zuhause schmerzlich fehlt. Und für all jene, die ihre ersten Glaubensschritte online tun. Dazu wollen wir mit unserem Netzwerk Cloud-Kirche für digitale Gemeindegründungen und -gründende beitragen. Denn Jesu Gemeinde war schon immer mehr als ein Gebäude.

Simon Diercks ist Bereichsleiter der Region Digital

Der Artikel ist in unserem Magazin move (August – Oktober 2024) erschienen.

Wie digitale Gemeinde konkret lebt? Reinhören im Podcast der betaKirche