Wie wird Gott durch die 99 % der Christen, die nicht hauptamtlich für Gott unterwegs sind, am Arbeitsplatz sichtbar? Und wie sieht ein intellektuell verantwortlicher und persönlich gelebter Glauben für sie aus? Julia Garschagen zu redlicher Apologetik und was gute Fragen ausmacht.
Frau Garschagen, Sie waren als einzige deutsche Referentin auf der großen Bühne des vierten Lausanner Kongresses in Südkorea. Sie haben die Bedeutung betont, den Glauben im Berufsleben zu leben. Wie können Christen das praktisch machen?
Ja, das ist wirklich wichtig. Wir sind als Christinnen und Christen im Auftrag Jesu unterwegs und bringen seine Gegenwart mit, wo auch immer wir hingehen, besonders an den Arbeitsplatz. Es gibt keine Trennung zwischen dem Göttlichen und dem Alltag. Wir sind Tempel des Heiligen Geistes, auch am Arbeitsplatz. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein.
In Seoul sagte eine Frau: „Unsere E-Mails sind unsere Worship-Songs und unsere Telefonanrufe unsere Gebete.“ Das gibt mir eine neue Motivation auf der Arbeit.Egal wie stupide es scheint, ich kann es für Gott tun. Wir können unsere Kollegen und Chefs vor Gott bringen. Das verändert viel, auch wenn wir es nicht immer sehen. Wir sind betende Menschen und möchten Jesus für diese Menschen sein. Als Christinnen und Christen sind wir Tempel des Heiligen Geistes, wo auch immer wir hingehen.
Was hat Sie dazu bewegt, sich beruflich und persönlich so intensiv mit dem Thema Glaube und Arbeit zu beschäftigen?
Ich bin nicht in einem stark religiösen Kontext aufgewachsen. Die Verbindung von dem, was ich im Jugendkreis gehört habe, und dem Alltag war mir immer wichtig. Skeptisch zu sein, auch im Glauben Fragen stellen zu dürfen, war mir wichtig. Wenn Gott der Herr über alles ist, dann muss das auch im ganzheitlich im Alltag gelten. Christsein am Sonntag ist relativ einfach, aber im Alltag und am Arbeitsplatz ist es ein Abenteuer. Zu fragen: „Gott, wo bist du gerade und wo kann ich dir folgen?“ Wir haben einen Alltagsgott, der mitten im Alltag dabei ist. Das war mir immer wichtig.
Sie leiten das Pontes-Institut für Wissenschaft, Kultur und Glaube. Welche Ziele verfolgt das Institut und wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus?
Pontes ist das lateinische Wort für Brücken. Wir möchten Brücken bauen zwischen Wissenschaft, Kultur und christlichem Glauben. Wir glauben, dass der christliche Glaube Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit hat. Er ist relevant, intellektuell bereichernd und emotional bewegend. Wir möchten mit Menschen sprechen, die unsere Gesellschaft prägen. Ich bin viel an Universitäten unterwegs, halte Vorträge und leite das Jugend-Event truestory. Es ist uns wichtig, in junge Generationen zu investieren.
Sie haben nach dem Abitur ein Jahr in Lima in Peru verbracht und dort mit Menschen in extremer Armut gearbeitet. Wie hat das ihre Theologie und ihren Lebensweg beeinflusst?
Natürlich hat das mein Denken stark geprägt. Ich habe viel von den Menschen gelernt, die in extremer Armut leben – von ihrem tiefen Vertrauen, dass Gott sie versorgt, auch wenn sie nicht wissen, woher das Brot für morgen kommen soll. Solche Begegnungen haben meine Theologie verändert: Gerechtigkeit ist für michheute zentral, genau wie es bei Jesus im Fokus steht. Gleichzeitig will ich Armut nicht romantisieren. Sie ist traumatisierend und fordert uns heraus, aktiv gegen Ungerechtigkeit zu handeln. Dabei spüre ich eine globale Verantwortung: Mein Wohlstand gehört nicht nur mir, sondern auch meinen Geschwistern im globalen Süden. Deshalb habe ich mit Freunden den Verein „Dios te ve“ (deutsch: Gott sieht Dich) gegründet, um Jugendlichen in Lima Perspektiven zu geben. Und auch wenn mich die Frage nach dem Warum des Leids nie loslassen wird, glaube ich an einen Gott, der mitten ins Leid dieser Welt gekommen ist, um Hoffnung und Heilung zu bringen.“
Sie haben in ihrem Vortrag die Herausforderungen der ersten Christen in Europa in ihren Arbeitskontexten beschrieben. Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie für Christen in Deutschland, die ihren Glauben im Berufsalltag leben möchten?
ie Frage der Integrität ist zentral. In Zeiten, wo Authentizität den Wert der Integrität ersetzt hat, ist es schwierig. Als Christinnen und Christen wollen wir authentisch sein, aber auch starke Werte von Jesus herkommend vertreten. Das ist herausfordernd, besonders in einem hyperkapitalistischen System. Der christliche Glaube gilt heute für viele als schlechte Nachricht: naiv, intellektuell überholt, emotional irrelevant und moralisch anrüchig. Das macht es schwer, den Glauben zu teilen. Aber es ist wichtig, die gute Nachricht für die Gesellschaft und die Menschen in meinem Unternehmen zu sehen. Warum ist sie wirklich „gute Nachricht“ für die Gesellschaft, meine Mitmenschen, meine Kollegen und meinen Chef? Dabei muss ich Leute nicht „zupredigen“, sondern erst mal zuhören. Es hilft, gute Fragen zu stellen und Menschen kennenzulernen. Manchmal kann man auch anbieten, für jemanden zu beten.
Welchen einen Satz geben Sie uns mit?
Der letzte überlieferte Satz von Karl Barth, dem großen Schweizer Theologen: „Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her.“ In all der Verrücktheit, die gerade unserer Welt begegnet, ist das für mich unheimlich tröstend zu wissen, dass da ein anderer sitzt auf dem Thron.
Das Interview führte Simon Diercks, Leiter Communication & Media, Church Relation und Region Digital
Das ganze Gespräch im Podcast
Vortrag von Julia Garschagen auf dem 4. Lausanner Weltkongress
Podcast „Kopfknistern“ vom Pontes Institut
Der Artikel ist in unserem Magazin move (Februar – April 2025) erschienen.