Die Welt an einem Tisch – Sieben Tage Weltmission in Südkorea

Die Welt an einem Tisch – Sieben Tage Weltmission in Südkorea

Was gibt es zu lernen, wenn die globale Kirche an einem Ort zusammenkommt? Thomas Schech hat den vierten Lausanner Weltkongress miterlebt und vieles zum Weiterdenken und Andersmachen im Gepäck.

Sieben Tage Seoul, Südkorea. Sieben Tage voller Begegnungen, Impulse und Begeisterung. Aber auch Aspekte, die mich nachdenklich stimmen, waren dabei. Selbst heute, einige Wochen nach dem Kongress mit neuen Reisen und Themen, die sich dazwischengeschoben haben, spüre ich, wie das Erlebte nachwirkt. „Let the Church Declare and Display Christ Together“ (deutsch: „Möge die Kirche gemeinsam Christus verkünden und sichtbar machen“), so lautete das Motto in Südkorea. Rund 5.000 Menschen aus mehr als 200 Ländern kamen zusammen, 5.000 weitere nahmen digital am Kongress teil. Darunter auch eine Gruppe von rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Deutschland.

Selbst für langjährige und konferenzerprobte Christen sind das Zahlen, die beeindrucken. Seit ihrer Gründung 1974 in der Schweiz hat sich die Lausanner Bewegung zum Ziel gesetzt: Die ganze Gemeinde soll der ganzen Welt das ganze Evangelium verkünden. Nach dem Start in Lausanne folgten Kongresse in Manila (1989) und in Kapstadt (2010). Nun also das vierte große Treffen dieser Art. Was nehme ich mit für Deutschland? Für die Allianz-Mission?

Zusammenarbeit ist das Gebot der Stunde

Das mag überraschen, weil es kein neuer Gedanke ist, den ich hier formuliere. Vielleicht ist es die Wucht, die Kraft der globalen Kirche, die sich stellvertretend an einem Ort trifft, die diesen Punkt in mir nach vorne spült. Die Kirche Jesu ist eine globale Kirche. Wie gut! Sie ist divers und vital. Wir brauchen einander! Und ich ahne, dass wir die globale Kirche in Europa mehr brauchen als umgekehrt. Aber die Aufgabe der Weltmission ist eine Aufgabe aller. Von überall nach überall. Das ganze Evangelium. Dabei ist Zusammenarbeit mehr als Synergien heben. Es geht um mehr als darum, gemeinsam bessere Ergebnisse zu erzielen.

Das bedeutet aber auch, dass wir eine neue Form von Zusammenarbeit lernen müssen: in den vorbereitenden Videotreffen der Delegierten aus aller Welt, die sich über fast ein Jahr vor dem Kongress erstreckten, wurde genau das deutlich: collaborative leadership (deutsch: kooperierende Leiterschaft) gilt es neu zu lernen und praktisch einzuüben.

„Zusammenarbeit ist eine Antwort darauf, wer Gott ist“, so hatte es Jurie Kriel (USA) in einem Vortrag auf den Punkt gebracht. In der Art und Weise unserer Zusammenarbeit spiegeln wir Gottes Wesen wider. Ja, nicht immer, aber zumindest dann, wenn es gut läuft. Zusammenarbeit hat also eine theologische Tiefendimension. Der Ewige selbst ist nicht als Einzelkämpfer unterwegs. Wir bekennen ihn als Vater, Sohn und Heiliger Geist – ein Gott, der zugleich in sich selbst Beziehung ist. Das motiviert mich noch stärker als bisher hier zu investieren.

Mehr Heiliger Geist wagen

Die Stimmen aus Afrika insbesondere am Montagmorgen waren starke und selbstbewusste Erinnerung daran, dass der Heilige Geist seine Gemeinde baut. Ohne den Geist Gottes ist keine Mission möglich. Das unterschreiben wir auch in Deutschland und in der Allianz-Mission sofort. Aber welche praktischen Konsequenzen hat das? Femi Adelye aus Nigeria machte klar: „Die, die entgegen der nachgewiesenen Evidenz behaupten, dass die Ära der Demonstration der Gegenwart und der Kraft des Heiligen Geistes inklusive Wunder vorbei sind, haben sich gründlich geirrt!“ Mission braucht „die volle Überzeugung und Bekräftigung der Rolle des Heiligen Geistes“.

Ganz ähnlich Kwabena Asamoah-Gyadu aus Ghana, einer der bekanntesten afrikanischen Theologen der Pfingstbewegung. Das Christentum in Afrika ist auf demVormarsch. Für Asamoah-Gyadu geht das auf das Konto des Heiligen Geistes. Der Aufstieg des „geist-befähigten Christentums“ in Afrika steht aus seiner Sicht im Gegensatz zu „historischen westlichen Missionskirchen und ihren geordneten Formen der Kirchenordnung.“ Er machte klar: Afrika hat sich vom Westen emanzipiert – und dass es eben nicht menschliche „geordnete“ Überlegungen waren, die zum Wachstum der Kirche in Afrika geführt haben, sondern der Heilige Geist.

Das kann man als Provokation hören oder als herausfordernde Ermutigung starker afrikanischer Stimmen. Ich habe mich für die zweite Variante entschieden. Und ich bete um einen neuen geistlichen Aufbruch, der ein gutes Maß an Rationalität und Intellektualität mit Geisteskraft und Geistesleitung verbindet, so wie ich es bei unseren Geschwistern aus Afrika auf der Bühne erlebt habe.

Wie gut, dass der Kongress in Seoul diesmal auch pentekostalen Stimmen Raum auf der Bühne gegeben hat. Für mich ein Zeichen der Reife und der gewachsenen Einheit.

Ermutigung von der Kirche in der Unterdrückung

Fast ein ganzer Tag war in Seoul der Kirche in der Unterdrückung gewidmet. Ein bewegender Tag mit vielen aufwühlenden Geschichten auf und neben der Bühne. Ich denke an Jakob aus Bangladesch. Er war Teil meiner Tischgruppe. Die Tischgruppen bildeten ein Herzstück des Kongresses. Alle Teilnehmenden waren in kleinen Gruppen mit möglichst hoher Diversität aufgeteilt. Die ganze Woche über trafen wir uns zum Austausch, Gebet und Diskussionen an unserem Tisch. Jakob erzählte mir, dass man ihn schon dreimal versucht hat umzubringen. Einfach, weil er Leuten in seinem Land versucht hat, von Jesus zu erzählen. Während er erzählt, spüre ich seinen Mut und wie unerschrocken er ist. Derselbe Ton, den fast alle wählen, die an diesem Tag von ihren Erfahrungen berichteten. Die Kirchein der Unterdrückung will nicht unser Mitleid und sie braucht es nicht. Wir brauchen sie.

Nein, ich will nichts idealisieren und schon gar nicht das Leid kleinreden, dass real erlebt wird, aber Ihr Mut fordert uns heraus. „Verfolgung wird die Kirche niemals töten, aber Kompromisse am Evangelium schon.“, so Patrick Fung (Singapur). Es ist eines von mehreren Zitaten, die mir von diesem Tag nachgehen.

Investition in die 99 %

Es ist ein alter Gedanke, der aus freikirchlicher Perspektive besonders wichtig ist: Die Kirche lebt nicht zuerst von denen, die hauptamtlich in Kirchen und Gemeinden arbeiten. Ich rede von Pastorinnen und Pastoren, professionellen Missionarinnen oder Mitarbeiter von christlichen Organisationen. Diejenigen, die hauptamtlich tätig sind, sie sind Trainer, Ermutiger und Katalysatoren für die, die jeden Tag an den unterschiedlichen Orten ihre Frau und ihren Mann stehen: in den Arztpraxen, in Schule, Kindergärten, Firmen und Behörden. Ein alter Begriff dafür ist das Priestertum aller Glaubenden. Jeder, der mit Jesus lebt, ist eine Art Priester. Er ist wie eine Brücke zwischen Menschen und Gott. Jeder ein Missionar, eine Missionarin an dem Ort, an dem er lebt.

Diese Gruppe, das sind die 99 % der weltweiten Christen. Mission und Kirche ist nicht zuerst Sache der Profis, nicht Sache der 1 %, die in irgendeiner Form hauptamtlich in einem geistlichen Dienst arbeiten. Mission ist zuerst Sache der 99 %, die jeden Tag in vielfältigen beruflichen Kontexten unterwegs sind. Diese Gruppe zu unterstützen erfordert von den Profis Demut, einen klaren Fokus und die Bereitschaft hinzuhören und zu fragen: Was wird gebraucht? Denn: „Jede Arbeit ist eine heilige Berufung Gottes“, so Julia Garschagen (Deutschland).

Jüngerschaft und die nächsten Generationen

Auch deutlich wurde in den Vorträgen: Um dem Missionsauftrag Jesu bis an die Enden der Welt zu folgen, braucht es die jüngeren Generationen. Sie brauchen „geistliche Mütter und Väter, die hinter ihnen stehen mit den Händen auf ihren Schultern“ (Sam Couper, England). Lebensverändernde Jüngerschaft ist – so hat es der Report über den Stand der Weltmission (State of the Great Commission report) festgestellt, dabei eines der wichtigsten Lernfelder der globalen Kirche. Generationsübergreifende Jüngerschaft ist dabei ebenso wichtig wie tiefe Beziehungen. Denn, so Couper: „Erweckung bewegt sich in der Geschwindigkeit von Beziehungen.”

Digitale Welt

Im Vorfeld des Kongresses wurde viel gearbeitet. Über 500 Seiten lang ist der State of the Great Commission report. Viel Arbeit und Expertise von rund 150 Missionsexpertinnen und -experten aus vielen Ländern der Welt ist hier eingeflossen. Vielfältige Themen wurden bearbeitet. Auch wichtige Zukunftsthemen wie die Fragen nach digitaler Kirche, digitaler Mission oder: Was bedeutet es, Mensch zu sein im digitalen Zeitalter?

Manche der im Vorfeld angeschnittenen Themen und Fragen fanden aber auf der Bühne weniger Raum als erwartet. Da hätte ich mir persönlich noch mehr Diskussion und Schwerpunktsetzung gewünscht. Umso mehr sind die Formate zu erwähnen, die die Hauptbühne ergänzt haben. So zum Beispiel das Digital Discovery Center, Collaborative Action Teams oder Workshops zu diesen wichtigen Zukunftsthemen.

Schmerzliche Realität und Spannungen

Der Kongress hat die Spannungen widergespiegelt, die die weltweite Kirche erlebt und durchlebt. Und das sehr offensichtlich. Der alte Graben zwischen Evangelisation und Diakonie, zwischen Proklamation und Demonstration des Evangeliums, zwischen (links-evangelikalen) Christen, die stärker die ganzheitliche Dimension des Evangeliums betonen und solchen, die vor allem und zuerst „Seelen retten“ wollen, er ist noch immer da. Er hat die Bewegung im Grunde von ihrer Geburtsstunde an begleitet.

Das zu erleben, es vor Ort zu spüren, war für mich ernüchternd und schmerzlich. Dabei hat es in der Vergangenheit viele gute Texte und theologische Arbeit gegeben, die genau diesen Graben zugeschüttet haben. Hier sind es, auch das muss gesagt werden, vor allem die nordamerikanischen und westlichen Stimmen, die leider immer noch die alten Gegensätze hochhalten und ein aus meiner Sicht zu einseitiges Verständnis des Evangeliums vor sich hertragen.

Auch die Konflikte auf diesem Globus forderten die Christen auf dem Kongress heraus. Russische und ukrainische Teilnehmer, keine einfache Begegnung. DerKonflikt im Nahen Osten und die Kritik, dass evangelikale Christen das Leid der Menschen im Gaza zu wenig sehen. Westliche Dominanz, weil die ursprünglich angestrebte Zahl der Teilnehmenden aus dem globalen Süden sich die Reise schlicht nicht leisten konnte.

Schließlich das Seoul Statement, bei dem viele gute und divers zusammengesetzte Theologinnen und Theologen intensiv gearbeitet haben. Neben vielen gutenAspekten hat der Text auch Kritik hervorgerufen. Doch leider war kein Raum dafür vorgesehen, diesen Text vor Ort weiterzuentwickeln. So wurde aus meiner Sicht die Chance verpasst, ein kraftvolles prophetisches Wort in unsere Zeit von Seoul aus zu senden.

Fazit

Es war großartig und ein Privileg, dabei gewesen zu sein. Das neben den Stimmen aus der Pfingstbewegung auch Frauen selbstverständlich und sichtbar lehrend und leitend aktiv waren, ist mehr als nur eine Randnotiz. Die globale Kirche, sie ist vital und wir brauchen einander. Das Bewusstsein dafür wächst auch in Deutschland, doch es gibt Luft nach oben. Zu oft sitzen wir auf unserer Kirchengeschichte und unserer vermeintlichen Intellektualität und übersehen dabei, was Gott an anderen Orten tut. Vielleicht sehen wir es auch, haben aber zu schnell Erklärungen parat, mit denen wir uns die Herausforderungen und unbequemen Fragen auf Abstand halten.

Beeindruckt haben mich die Gastfreundschaft der über 1000 koreanischen ehrenamtlichen Helfer, die den Kongress praktisch ermöglicht haben und ein tiefer Einblick in die verwobene Geschichte Koreas von großem Leid und großen Erweckungen, die die gesellschaftliche Entwicklung in den ganzheitlichen Aufschwung Südkoreas befeuert haben.

Ich habe Sehnsucht nach geistlichen Aufbrüchen in meinem Land. Und ich bete dafür. Ich möchte Schluss machen mit dem Narrativ des christlichen Abendlandes und der guten alten Zeit, von denen wir nicht wissen, wie gut sie wirklich war. Unser Land, unser Kontinent braucht leidenschaftliche Christen und Gemeinden, die bereit sind, Risiken einzugehen und die für unseren Kontext Wege des Evangeliums finden. Und zwar solche, die die inneren und äußeren Nöte der Menschen berücksichtigen. Was die Allianz-Mission betrifft, so fühle ich mich bestätigt, den begonnenen Weg der globalen Zusammenarbeit und Internationalisierung konsequent fortzuführen. Zum klassischen Sendungsmodell ist längst das „Empfangen-Modell“ hinzugekommen. Und neben Senden und Empfangen geht es darum, auf vielfältige Weise ein Katalysator in und für Gottes Bewegung weltweit zu sein. Das ist eine große und schöne Aufgabe. Seoul hat mir und vielen anderen Mut dazu gemacht!

Thomas Schech ist Vorstandsvorsitzender

Der Artikel ist in unserem Magazin move (Februar – April 2025) erschienen.