Als Kämpfer, Kontaktmann und Scharia-Richter für Al-Qaida regierte extremistischer Hass Pauls Herz. Heute erzählt er Muslimen von der Liebe Gottes. Eine Geschichte, wie nur Gott sie schreiben kann.
Paul wurde 1984 in Syrien, geboren. Er wuchs umgeben von extremistischem Islam auf: Seine Familie war streng sunnitisch1 und hielt sich an das islamische Recht, die Scharia2. 1988 gründete Osama Bin Laden die Terrororganisation Al-Qaida als eine Volksfront gegen die sowjetische Besatzung. Während Paul älter wurde, entwickelte sich Al-Qaida zu einem international agierenden Netzwerk. Angriffe galten vor allem schiitischen, „unislamischen“ Regimes sowie ihren Unterstützern, wie den USA.
Im Dienste Allahs
„Im Jahr 2003 begann der Irakkrieg“, erinnert sich Paul. „US-Präsident Bush erklärte damals, er führe einen ‚Kreuzzug gegen den Islam‘. Dies war ein bedeutender Auslöser dafür, dass viele Muslime – insbesondere junge, impulsive Männer – sich vom friedlichen, traditionellen Islam abwandten und dem Dschihadismus3 zuwandten.“ Paul war einer von ihnen. Zunächst Kämpfer koordinierte er später die Einreise ausländischer dschihadistischer Gruppen nach Syrien und deren Weiterleitung in ein anderes arabisches Land. Dafür vermittelte Paul zwischen dem syrischen Geheimdienst und Al-Qaida – natürlich inoffiziell.
„Der Einfluss des Islam auf mein Leben zeigte sich in allem – in meinem Denken und im Umgang mit anderen – oft auf negative Weise. Ich bevorzugte militärisches, kämpferisches Verhalten zur Lösung von Konflikten und Problemen und mochte keine langfristigen politischen Dialoge.“
2006 kam es zu Differenzen zwischen dem syrischen Geheimdienst und Al-Qaida. Paul kam für ein Jahr in ein syrisches Gefängnis, wo er Folter erlitt. Nach seiner Freilassung gründete er eine dschihadistische Gruppierung und kam von 2007 bis 2014 erneut in Haft.
Im Gefängnis: Die schönste Zeit
„Es zählt zu den schönsten Jahren meines Lebens, denn ich habe dort die islamische Scharia und den Koran akademisch, umfassend und präzise gelernt. Das Gefängnis war wie eine Universität.“ Aus jetziger Perspektive sieht Paul diese Zeit als Gottes Vorbereitung auf seinen heutigen Dienst.
In dieser Zeit sah Paul immer wieder in Träumen ein konkretes Kirchengebäude: „Am Anfang erzählte ich dem Imam und meinem Bruder davon. Der Imam sagte mir, es sei nur ein Traum vom Teufel und ich solle ihn ignorieren und mich auf das Lernen und die Anbetung Allahs konzentrieren.“ Das tat er fortan und ignorierte den Traum.
Alles für Allah
Nach seiner Haft übernahm Paul im Norden Syriens die Führung einer Al-Quaida-Kampfgruppe und wurde später als Scharia-Richter tätig. Als solcher sollte er Menschen darin unterrichten, was die Scharia verlangt. Das beinhaltete auch Rechtsprechung und Verurteilung. Damals kam Paul immer mehr ins Nachdenken, denn im Koran hieß es, Allah sei „eine Barmherzigkeit für die Welt“ – es war der Kampf für etwas Gutes. Oder doch nicht? Paul hatte sein ganzes Leben lang so viel Grausamkeit gesehen. Extremistischer Islam bedeutete aus seiner Erfahrung permanente Gewalt und Terror. Das Problem war: „Im Islam darf man nicht hinterfragen.“ Schon gar nicht ein Scharia-Richter. Er tat es dennoch.
Die Flucht
Es kam zu einer Situation, in der er eine Gruppe nach islamischem Recht zum Tod verurteilen musste. Paul aber ließ sie frei. Aufgrund dieser Entscheidung steckte man ihn für eine Woche in ein Loch. Dort beschloss Paul, Al-Qaida zu verlassen.
2015 floh Paul nach Deutschland. Nach weiterem Studium des Korans fand er sich im humanistischen Atheismus wieder. In der Nähe des Asylantenheims stand er plötzlich vor ihr: Der Kirche aus seinen Träumen!
Die 180-Grad-Wendung
Die Kirche war ein Auslöser dafür, dass Paul begann, die Bibel zu lesen. Im Kontakt mit arabischen Christen entdeckte er, dass Jesus das Wohl für den Menschen im Blick hat: Jesus bringt den Menschen Heil und Erlösung. Allmählich wurde Paul überzeugter Christ.
Im Herbst 2016 lernte er in Berlin eine schiitische Ex-Muslima kennen. Als Sunnit wäre er früher niemals eine Beziehung mit ihr eingegangen. Doch mit seinem neuen Glauben stand nichts mehr zwischen ihnen. Heute haben sie zwei Kinder und evangelisieren gemeinsam.
Paul studierte von 2018 bis 2024 in unterschiedlichen Einrichtungen Theologie. Teilweise gab er den Professoren selbst Kurse, um den Islam besser zu verstehen. Manchmal belastet ihn noch der Gedanke an all die Grausamkeiten, an denen er beteiligt war. Aber er weiß auch, dass Gott ihm vergeben hat. Seine Vergangenheit ermutigt ihn viel mehr, nun das Gute zu tun. „Mein Gott tut immer das Richtige – jeden Tag. Vielleicht mache ich morgen etwas Falsches. Aber Gott nicht.“
Missionare im Nahen Osten
Nun ist Paul mit seiner Familie als Missionar im Nahen Osten. Täglich setzt er dort sein Leben aufs Spiel – weil er nun Christ ist, darf er nach islamischen Recht von jedem Muslim auf der Straße hingerichtet werden. Er hat keine Angst um sein eigenes Leben, aber um seine Familie. Inzwischen gründete Paul eine Online-Bibelgruppe mit seinen Nichten und Neffen in Syrien. Drei Mal wöchentlich unterrichtet er sie im Wort Gottes. Sie wollen sich taufen lassen – eine lebensbedrohliche Entscheidung. Manche von ihnen äußerten schon den Wunsch, Missionare zu werden, wie Paul, und möchten weiter Theologie studieren.
Im Nahen Osten bauen Paul und seine Frau Freundschaften mit Muslimas und Muslimen auf, um ihnen von Jesus zu erzählen. Paul hat zudem Kontakt zu einer evangelikalen Kirche. Dort wird er Kurse anleiten, wie muslimische Flüchtlinge aus Syrien mit dem Evangelium erreicht werden können.
„Heute bete ich nicht mehr einen Gott aus Angst an, sondern mit Liebe und Frieden. Diese Liebe Gottes bleibt bei mir, und ich werde weiterhin alles Wertvolle und Kostbare für sie geben. Ich bin ein sündiger Mensch und habe keine Autorität über andere. Ich überbringe ihnen lediglich die Botschaft Gottes mit Liebe und Demut und gehe dann meinen Weg weiter.“
Evelyn Clement ist Redaktionsleiterin der move
Der Artikel ist in unserem Magazin move (November 2025 – Januar 2026) erschienen.
1 Sunnitisch: Im Islam gibt es zwei große Strömungen: den sunnitischen und den schiitischen Glauben. Die Sunniten hielten es nach dem Tod ihres Propheten Mohammeds Tod für richtig, dass die Gemeinde selbst einen neuen Anführer wählt. Die Schiiten waren der Überzeugung, dass der erste „Kalif“ aus der Familie Mohammeds stammen sollte. Sunniten und Schiiten sind bis heute Feinde.
2 Scharia: Die Scharia wird im deutschen Sprachgebrauch als „islamisches Recht“ bezeichnet. Sie baut auf dem Koran auf und ist damit für alle Muslime die von Gott eingesetzte Ordnung, nach der Muslime leben sollen. In vielen islamischen Staaten bildet sie die Grundlage des Rechtssystems (z. B. in Syrien), in anderen ist sie vollständig geltendes Gesetz.
3 Dschihadismus: Der Dschihadismus ist eine militante, extremistische, sunnitische Strömung im Islam. Er geht davon aus, dass jeder Muslim sich am militärischen Kampf gegen jede „unislamische“ Herrschaft beteiligen muss.
Quellen:
BBC 2006. How Zarqawi was found and killed. http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/5060468.stm [31.07.2025].
BBC 2015. What is ‚Islamic State‘? – BBC News. https://www.bbc.com/news/world-middle-east-29052144 [31.07.2025].
Bush 2006. Statement by President Bush on Death of Abu Musab al-Zarqawi; https://georgewbush-whitehouse.archives.gov/news/releases/2006/06/20060608.html[31.07.2025].
Fouad, Hazim; Said, Behnam (17.10.2020): Islamismus, Salafismus, Dschihadismus: Hintergründe zur Historie und Begriffsbestimmung. Bundesamt für politische Bildung. Islami https://www.bpb.de/themen/infodienst/322920/islamismus-salafismus-dschihadismus/#node-content-title-0 smus, Salafismus, Dschihadismus | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de [01.08.2025]
Schmidmeier, Fabian (15.09.2014). Kurz erklärt: ISIS, ISIL, IS oder „Islamischer Staat“?. abramicstudies.com. https://abrahamicstudies.com/2014/09/15/kurz-erklart-isis-isil-is-oder-islamischer-staat/ [29.07.25]
PD Dr. Müller, Christian: Centre National des Recherches Scientifiques, Paris, Arabistik in: Scharia. Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/islam-lexikon/21676/scharia/ [01.08.2025].
Steinberg, Guido (02.10.2020): Schiiten und Sunniten – ein politisch-religiöser Konflikt der Gegenwart. Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/themen/naher-mittlerer-osten/iran/303490/schiiten-und-sunniten-ein-politisch-religioeser-konflikt-der-gegenwart/ [01.08.2025].
Tagesschau (20.08.2021): Was Taliban, IS und Al-Kaida trennt. https://www.tagesschau.de/ausland/asien/taliban-alkaida-is-101.html [29.07.25].
Welt.de: Al-Qaida. https://www.welt.de/themen/al-qaida/ [01.08.2025]
