Das Evangelium gilt allen Menschen genau dort, wo sie gerade sind. Gott geht dafür bis in die letzten Winkel der Erde und unserer Herzen. Evelyn Clement erlebt das hautnah in Dresden.
„Hey, hast du Feuer?“, fragt mich ein junger Mann, als ich abends in Dresden unterwegs bin. „Ich habe ein paar Streichhölzer“, sage ich und schaue auf das weiße Papierröhrchen in seiner Hand. „Ist das ein Joint?“ Er bejaht die Frage. „Lass uns einen Deal machen“, schlage ich vor und muss dabei schmunzeln. „Ich gebe dir Feuer und du liest mal die Bibel.“ Weil es Talent braucht, Streichhölzer in einer nasskalten Winternacht zu entzünden und dann auch einzusetzen, kommen wir noch weiter ins Gespräch. Ob er danach tatsächlich Bibel gelesen hat, weiß ich nicht. Aber ich vertraue darauf, dass Gott die Begegnung nutzen kann.
Verurteilt oder bedingungslos angenommen
Mein Weg, das Evangelium zu teilen, ist vielleicht ein anderer als Ihrer. Vielleicht würden Sie auch niemals jemandem dabei helfen, Drogen zu konsumieren (was ich im Normalfall auch strikt ablehne). Jemand im indigenen brasilianischen Kontext würde die Botschaft wieder anders verpacken als verfolgte Christen in China. Egal auf welche Weise wir von Jesus sprechen, Gottes Liebe braucht es immer. Dadurch lerne ich, Menschen in ihren Standpunkten und Ansichten erst mal stehen zu lassen und anzunehmen. Sie müssen genauso wenig wie ich perfekt sein, um Jesus kennenzulernen. Hier muss ich an Anton denken:
Ich bin mit einer jungen Dame für einen evangelistischen Straßeneinsatz unterwegs. Wir kennen uns nicht, aber ziehen gemeinsam los, um meinem sehr linksliberalen, antifaschistisch geprägten Stadtteil zu begegnen. Wir reden mit Anton. Sein Thema: Homosexualität. Ich will Fragen stellen, verstehen wer er ist und warum er denkt, was er denkt. Wo steht er mit Gott? Meine Begleiterin hat andere Worte: „Das ist Sünde!“ Im Grunde war danach das Gespräch vorbei.
Ja, Sünde und ihre Auswirkungen brauchen Umkehr. Allzu oft sind unsere Antworten aber zu verkürzt für komplexe Lebensgeschichten. Unsere Kirchenmauern werden mit harten Worten ohne echtes Interesse am Menschen oft nur dicker und der Raum darin zu klein für neue Glaubensgeschwister.
Ich will klar sein, ohne zu verurteilen. Ich will Menschen Verständnis entgegenbringen und ihnen jemanden vorstellen, der sie so annimmt, wie sie sind. Wo ich denke, dass ihr Leben Sünde aufweist, will ich auf Gott hören, was gerade im Gespräch dran ist zu sagen. Manches darf ich einfach stehen lassen: Wenn der Heilige Geist Menschen begegnet, wird er nach und nach Dinge ansprechen. Meine Aufgabe in der Evangelisation ist es, etwas zu hinterlassen, dass Menschen ein Stück näher zu Gott bringt: Dafür muss ich aber wissen, wo sie stehen. Das braucht nach meiner Erfahrung mehr Fragen als meine vermeintlichen Antworten.
Gott bleibt dran
Ich weiß nicht, wie die Personen, mit denen ich spreche, mit dem weitermachen, was sie von mir über den Glauben oder Gott gehört haben. Die missglückte Gespräch mit Anton hat mich traurig gemacht. Auch hier vertraue ich darauf, dass Gott mit unseren Fehlern weiterarbeiten kann. Es ist nicht das „Frucht sehen“, das mich antreibt, meinen Glauben zu teilen, sondern ein Versprechen, das Paulus ausspricht: „Es wird nicht vergeblich sein.“ (1. Korinther 15,58).
Aufbruch der jungen Generationen
Im Jugendgottesdienst sitzt inzwischen ein großer Teil der Schulklasse eines Jungen aus unserer Gemeinde. Es fing mit einer simplen Einladung an.
In Frankreich und Großbritannien erleben gerade vor allem Katholische Kirchen einen großen Zuwachs durch Jugendliche. Sie kommen über Soziale Medien zum Glauben. Hier halte ich kurz inne: Das Altertümliche zieht junge Menschen an? Der uralte Glaube? Ja. Vielleicht ist es die Suche nach Sinn, vielleicht der Wunsch nach Ruhe oder auch einfach der Drang, Fundament zu finden in einer Welt, in der so vieles in Frage gestellt wird.
Die Katholische Kirche holt mich persönlich weder in manchen Überzeugungen noch in der Art ihrer Spiritualität ab. Aber Gott arbeitet mit ihr, wie mit Brüder- und Pfingstgemeinden und unseren Freien evangelischen Gemeinden. Auch hier sprengt Gott wieder meinen feinsäuberlich aufgebauten Rahmen. Ich denke an die Reformation, an meine Erfahrungen, an das Bibelstudium und bleibe demütig vor meinem Gott stehen. Auch hier Gott? Auch hier. Gott ist noch nicht am Ende mit uns Menschen und geht dabei überall hin.
Wie aber sollen die Menschen zu Gott rufen, wenn sie nicht an ihn glauben? Wie sollen sie zum Glauben an ihn finden, wenn sie nie von ihm gehört haben? Und wie können sie von ihm hören, wenn ihnen niemand Gottes Botschaft verkündet?
Römer 10,14
Was fehlt uns?
Wenn wir durch den Heiligen Geist bestens ausgerüstet sind, Zeugen für das Evangelium zu sein und selbst verfolgte Christen wie Paul sich nicht abbringen lassen – was fehlt uns, um mit den Aposteln zu sagen: „Wir können nicht schweigen von dem, was wir gehört und gesehen haben“? (Apostelgeschichte 4,20)
Zu folgenden Antworten bin ich bisher gekommen, wenn ich wieder mal zurückhaltend bin:
- Ich kenne das Evangelium nicht so gut, dass ich es in Worte fassen könnte.
- Meine Sorge, wie ich vor anderen da stehe, ist größer als meine Ehrfurcht vor Gott. Es braucht meine klare Entscheidung: Koste es, was es wolle, ich bin Christ.
- Ich habe keine Ideen, wie ich meinen Glauben auf eine Weise teilen kann, die zu mir passt. (S. 36)
- Ich habe keine Begeisterung für das Evangelium. Vielleicht fehlt es mir an Alltags-Erfahrungen mit Gott, die mich übersprudeln lassen vor Freude.
- Es fehlt mir an Bewusstsein, dass das Evangelium wahr ist, auch wenn ich Gott gerade nicht sehe oder fühle.
- Mir fehlt die Liebe für die Menschen, die Jesus nicht kennen, um sie mit dieser dringlichen Botschaft zu konfrontieren.
- Ich denke, dass ich die ganze Arbeit allein tun muss, und das entmutigt mich.
- Mir fehlen gute Argumente.
Wo finden Sie sich wieder? Ich will Sie ermutigen: Gehen Sie es mit Jesus an! Beten Sie dafür, dass Gott Ihr Herz verändert oder für was immer es in Ihrem Leben zu mutiger Evangelisation braucht. Licht in der Welt und in unserem Land Menschen begegnen Jesus bei Glaubensgrundkursen, auch online, durch soziale Projekte wie in der Café-Gemeindegründung in Salamanca und durch Beziehungsaufbau und Materialien von den Freunden für Seeleute. Paul mit muslimischem Hintergrund wurde von Gott durch Träume im Untergrundgefängnis erreicht. Gott ist da – bis in unsere Entmutigung hinein. Von all dem lesen Sie in den Berichten dieser Ausgabe.
Für die Welt nur das Beste
Wir haben keine schlechte Botschaft zu verkünden. Das Evangelium ist so großartig! Gott selbst hat sich in diese Welt aufgemacht, weil wir verloren waren. Er war bereit für uns zu sterben, so wertvoll sind wir in seinen Augen. Wir haben keinen toten Gott, sondern unser Gott ist lebendig. Das Evangelium ist die einzige Botschaft, die Hoffnung mitten ins Dunkel bringt – eine Botschaft der Rettung und der wahren Liebe! Ja, sie ist es wert, alles zu geben.
Evelyn Clement ist Redaktionsleiterin der move
Der Artikel ist in unserem Magazin move (November 2025 – Januar 2026) erschienen.
