Fluchthelfer aus der Einsamkeit

Fluchthelfer aus der Einsamkeit

Volker Dickel erlebte als Missionar, wie einsam man in einer Krise sein kann, und setzt sich heute als Pastor und Seelsorgebeauftragter dafür ein, dass Menschen nicht allein bleiben.

Gott hat uns Menschen grundsätzlich auf ein Wir hin angelegt. So stellt Gott schon in der Schöpfungsgeschichte auf den ersten Seiten der Bibel fest: „Es ist nicht gut, wenn der Mensch alleine ist“ (1. Mose 2,18). Wir brauchen einander. Im Miteinander können wir die Liebe multiplizieren, die wir von Gott erhalten, so dass noch viele Menschen von seiner Liebe erfahren.

Gottes Grundgedanke bezieht sich dabei nicht nur auf die Ehe, sondern zieht viel weitere Kreise: Wir Menschen sind Geschöpfe Gottes, nach seinem Ebenbild erschaffen und Gott hat ein soziales Wesen in uns hineingelegt. Das beinhaltet nicht nur die Nähe und Verbindung zu Gott, sondern auch die Nähe untereinander – in Alltags- wie Krisensituationen.

Dieser Grundgedanke ist heute aktueller denn je, denn immer mehr Menschen leben heute in Deutschland allein oder leiden unter Einsamkeit. Als Gemeindepastor erlebe ich das immer wieder, wenn ich Menschen besuche oder begegne. Oft höre ich einfach zu. Sie sagen dann: „Wie gut – mir hat jemand zugehört und sich Zeit für mich genommen!“

Oft ist es auch eine indirekte Einsamkeit: Menschen tragen Belastungen, Erinnerungen, Lebensbrüche und Schuld mit sich herum und können nicht darüber reden, weil sie nicht wissen, wem sie sich anvertrauen sollen. Sie ziehen sich innerlich zurück. Wie es hinter der Fassade aussieht, soll und darf niemand wissen. Unter Christen wird dann oft eine fromme Fassade aufrechterhalten, aber ehrliche Begegnung findet nicht statt. Dabei sind wir alle gleichermaßen Bedürftige und brauchen Hilfe und Vergebung.

Seit sieben Jahren bin ich – neben der Gemeindearbeit in einer Freien evangelischen Gemeinde – Seelsorgebeauftragter bei der Allianz-Mission. Mein Anliegen dabei ist es, den Missionaren als Seelsorger und Ansprechpartner zu begegnen, so dass sie gesund bleiben an Geist, Seele und Körper und ihren Dienst gerne tun können.

Als Missionar habe ich selbst erlebt, wie herausfordernd es ist, in einer fremden Kultur zu leben und missionarisch tätig zu sein. Und auch wie angefochten man dabei ist. Vor allem unsere Ehe und unsere Kinder waren Zielscheibe dieser Anfechtung.

Wir sind oft an unsere Grenzen gestoßen und haben schwere Zeiten durchlebt. Die schwerste eine Ehekrise, in der Lebensthemen aufbrachen, mit denen wir uns völlig überfordert und einsam fühlten und für die wir an unserem damaligen Einsatzort – den Philippinen – kaum Hilfe fanden. Wie froh wären wir gewesen und wie haben wir uns nach Menschen gesehnt, die Zeit für uns gehabt hätten. Menschen, die uns mit Verständnis und Empathie begegnet wären und uns als verlängerter Arm Gottes in unserer Situation geholfen hätten. Wir haben am eigenen Körper und Geist gespürt, dass Missionare an vorderster Front stehen und gerade ihre Ehen und Familien Krisen und Anfechtungen ausgesetzt sind.

Heute geben mir die Erlebnisse auf dem Missionsfeld eine gute Grundlage für die Begleitung der Missionare. Denn am besten kann man Wege begleiten, die man selbst gegangen ist.

Sicherlich machen nicht alle Missionare Schweres durch. Aber für die Missionare, die das erleben, gibt es eine Anlaufstelle. Denn gerade in herausfordernden und neuen Situationen sind wir als Missionare besonders gefordert. Missionare sind eben auch nur Menschen.

Ich empfinde meine Tätigkeit als Geschenk Gottes und auch als Privileg, da ich genau das tun kann, was ich gerne tue: Menschen seelsorglich begleiten. Neben gutem Handwerkszeug aus der Ausbildung zum Pastor und seelsorgerlicher Weiterbildung sehe ich auch, dass Gott mich durch seinen Geist zur Seelsorge begabt hat.

So erlebe ich oft das mir zurückgemeldet wird: „Worüber ich jetzt mit dir rede, weiß sonst niemand. Darüber habe ich noch nie sprechen können.“ Hier entdecke ich Gott am Wirken. Menschen kommen auf einen Weg der Veränderung und Heilung. Danke Gott.

Jakobus schreibt: „Bekennt einander eure Sünden und betet für einander, damit ihr gesund werdet“ (Jakobus 5,16). Wo und wie leben wir das in Gemeinden und im Alltag? Ich mache Mut dazu – weil es befreit und gesund macht an Geist, Seele und manchmal auch körperlich.

Um Menschen in ihrer Einsamkeit zu begegnen – nicht nur in der Mission – braucht es keine besondere seelsorgerliche Begabung. Oft hilft ein gesundes Maß an Einfühlungsvermögen und schlicht Zeit für das Gegenüber.

Wir brauchen einander und sind miteinander auf unseren Lebenswegen unterwegs. Dies ist umso wichtiger in einer Welt, die immer beziehungsärmer wird. Hier kann jeder mitwirken. Nicht um gleich alle Probleme lösen zu wollen, sondern einfach um da zu sein und Leben zu teilen.

Erlebt

Sabine wollte am Nachmittag noch einmal mit ihrer Freundin Petra Fahrrad fahren. Die Mutter sagte zu Sabine: „Du bist aber bitte wieder pünktlich um fünf Uhr zu Hause!“ „Hab‘ verstanden“, ruft Sabine und ist schon aus der Tür. Es wird fünf Uhr und Sabine ist nicht zu Hause. Erst um halb sechs kommt sie endlich zurück. „Wo warst du so lange? Ich hatte doch gesagt, du solltest pünktlich zu Hause sein!“, ärgert sich Sabines Mutter. „Aber Mama“, antwortet Sabine. „Petra hatte doch einen Fahrradunfall und da musste ich ihr helfen.“ „Aber du kannst doch gar keine Fahrräder reparieren“, erwiderte die Mutter. „Stimmt“ sagt Sabine, „Ich habe ja auch nicht ihr Fahrrad repariert, sondern mich neben sie auf den Bürgersteig gesetzt und ihr beim Weinen geholfen.“

Volker Dickel, Seelsorge und Member Care

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Februar – April 2019) erschienen.