Syrien nach dem Krieg: Unser Beitrag?

Syrien nach dem Krieg: Unser Beitrag?

Jospeh Najem ist Leiter der Freien evangelischen Gemeinden in Syrien und Libanon. Simon Diercks sprach mit ihm über Gemeindearbeit im Libanon, Untergrundgemeinden und den geistlichen Wiederaufbau Syriens.

Du bist – katholisch erzogen – im Libanon aufgewachsen, hattest aber kein Interesse an religiösen Belangen. Wie hast du Jesus persönlich kennengelernt?

Während meines Studiums habe ich nebenher in Teilzeit gearbeitet. Mein Chef war Christ und erklärte mir über Jahre das Evangelium. Die PersonJesus zog mich unwiderstehlich an und Gott veränderte mein Herz. Als mir mein Vorgesetzter von Paulus berichtete, der alles für Dreck erachtete, um nur Jesus zu kennen, änderte das alles: Gott zeigte mir, wer ich in seinen Augen war und welche Werte für mein Leben wirklich wichtig sind.

Deine libanesische und kanadische Staatsbürgerschaft – wie kam es dazu?

In meinem ersten Beruf bereiste ich als finanzieller Regionaldirektor einer amerikanischen Firma viele Städte und Länder in der arabischen Welt, um neue Branchen für mein Unternehmen zu erschließen. Damals – in den 1980er Jahren – fragte ich immer wieder: “Gott, wie wirst du das Evangelium zu den Arabern bringen?” Denn in vielen arabischen Ländern ist es nicht möglich, offiziell als Missionar zu arbeiten. Was ich nicht wusste, war, dass Gott bereits daran arbeitete, mein Herz für die Missionsarbeit anzurühren.

Zu dieser Zeit breitete sich der 15-jährige Bürgerkrieg im Libanon aus. Wir bekamen ein Einwanderungsvisum nach Kanada, für den Fall, dass wir aus dem Libanon fliehen müssten. Damit konnten wir 1990 – als Gott mir auf Herz legte, als Pastor in die Mission unter Arabern zu gehen – nach Kanada ausreisen, wo ich in Toronto vier Jahre Theologie studierte. Diese Zeit reichte aus, um zusätzlich die kanadische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Über die Jahre hat mir die Wahl zwischen zwei Pässen die Einreise in Länder ermöglicht, die ich sonst nicht hätte besuchen können. Gott schenkte mir diese Möglichkeit und ich bin dankbar dafür.

Über die vergangenen Jahrzehnte bist du Gemeindegründer und Missionar in Libanon, Syrien, Ägypten und im Sudan geworden. Welche Berufung hat Gott dir für diese Länder gegeben?

Seit Beginn meines Studiums in Toronto wusste ich, dass ich in den Libanon zurückkehren und dort Gottes Ruf folgen würde. Also reisten wir 1994 nach Abschluss meines Studiums in den Libanon aus und ich trat die Nachfolge des Pastors der Freien evangelischen Gemeinde in Beirut an. Es war schwer, eine Gemeinde fürMission zu begeistern, die es gewohnt war, dass Missionare aus Europa und Nordamerika kamen. Nun begannen wir zu überlegen, wie wir selbst Mission betreiben konnten Seite an Seite mit den ausländischen Missionaren.

Gott begann, dieses Ziel in den Herzen einiger junger Leute zu verankern. Ein junger Mann ließ sich berufen und ging als Missionar nach Aman in Jordanien, wo er über die vergangenen 20 Jahre eine Bibelschule mit heute 25 Studenten aufbaute. Gott gebraucht ihn, um neue Gemeindegründer auf das arabische Missionsfeld zu senden. Eine andere Familie wurde von Gott gerufen und sie gründeten ein Mädchenheim im Libanon, in dem gegen Ende des Bürgerkriegs viele verwaiste Mädchen Zuflucht gefunfen haben. Ein Anderer ging als Missionar nach Syrien und gründete eine Freie evangelische Gemeinde in Latakia.

Über die Jahre – seit 1994 bis heute – hat Gott uns Türen in sechs arabische Länder geöffnet. Wir begleiten 18 einheimische Missionare mit arabischer Herkunft dabei, in diesen Ländern Gemeinden zu gründen, Missionsarbeit zu tun und andere als Jünger auszubilden. Gott war wirklich gnädig, dass er aus diesem Traum Realität gemacht hat.

Wie sieht Gemeindegründung und Mission heute praktisch aus in Libanon und Syrien?

Im mittleren Osten erleben viele Arabische Länder politische Krisen und gesellschaftliche Destabilisierung. Die Flüchtlingskrise in Syrien hat viele Flüchtlinge in den Libanon gebracht zur Zeit 1.500.000 syrische Flüchtlinge bei einer Bevölkerung von gerade einmal 4.000.000 Libanesen. Unsere Missionsarbeit erblüht in der Krisensituation, weil Menschen verletzt sind, Probleme haben, ihre Hoffnung verlieren und sich danach sehnen, geliebt zu werden. Ich glaube, dass Gott diesen Weg gebraucht, um Menschen in den Arabischen Ländern zu erreichen.

Dort findet ein Großteil unserer Arbeit im Untergrund statt – in Hausgemeinden-Bewegungen, weil es muslimische Länder sind. Es gibt sichtbare christliche Gemeinden, wie in Damaskus und Latakia. Aber es gibt vor allem im Norden von Syrien unter der kurdischen Bevölkerung eine Menge Hausgemeinden. 60-70 Hausgemeinden konnten wir durch die Arbeit eines unserer kurdischen Missionare über die Jahre gründen. Ob in Syrien, Jordanien oder anderen Arabischen Ländern: es gibt christliche Gemeinden, sie sind aber nicht sichtbar auf der Landkarte.

Die Nachrichten aus Syrien waren die letzten Jahre gefüllt mit schlechten Neuigkeiten. Wie kann es in Syrien und den umliegenden Länder nach dem Krieg weitergehen?

Wir haben im Libanon seit Beginn des Krieges in Syrien eine Arbeit unter 300-400 Flüchtlingsfamilien aufgebaut. Wir bieten ihnen humanitäre Hilfe an und bringen den Flüchtlingen Hoffnung, indem wir ihnen das Evangelium erklären. Es gibt mittlerweile zwei kleine Gruppen muslimischer Konvertiten unter den syrischen Flüchtlingen, die Jesus angenommen haben und bei denen wir erleben, wie Gott Veränderung in ihr Leben bringt. Wir wollen sie in der Jüngerschaft ausbilden, solange sie noch im Libanon sind, so dass sie Teil einer Bewegung werden, wenn sie nach Syrien zurück gehen. Wir haben viele Ideen, wie das gelingen kann und beten, dass Gott uns leitet. Am wichtigsten ist, denke ich, dass wir loslegen, solange noch Blut auf der Straße ist.

Wir wollen Syrien durchdringen durch die Gemeinden, die schon dort sind. Die Frage ist: wie geschieht Gemeindegründung mit muslimischen Konvertiten in einem muslimischen Kontext? Wir beten intensiv, dass Gott die richtigen Menschen zeigt, um diese Bewegung anzuführen. Die sichtbare christliche Gemeinde vor Ort wird dabei eine Fassade der Regierung gegenüber sein und ein Ort, an dem wir zum Beispiel Familien mit Darlehen unterstützen, mit denen sie sich eine berufliche Existenz aufbauen können und die sie später zurückzahlen. Vieles wird unter dem Dach einer humanitären NGO (Nichtregierungsorganisation) stattfinden, aber tief drinnen wollen wir so auch eine Bewegung von Hausgemeinden in einige Städte Syriens bringen.

Wie können wir als Missionswerk und deutsche Freie evangelische Gemeinden helfen, Syrien geistlich wiederaufzubauen?

Letztes Jahr hatten wir das Privileg, dass Ansgar Hörsting (Leiter des Bundes FeG in Deutschland) und Thomas Schech (Missionsleiter der Allianz-Mission) uns bei unserem jährlichen Leitertraining besucht haben. Das war ein guter Start, Vertrauen und Partnerschaft entstehen zu lassen. Gott hat uns unterschiedliche Ressourcen gegeben: Menschen, Zeit und Finanzen. Wenn wir unsere Anstrengungen bündeln und uns auf ein gemeinsames missionarisches Ziel fokussieren, glaube ich, dass Gott mehr bewirken wird, als wenn jeder für sich arbeitet. Wir sind gespannt, wie Gott etwas zusammenführt zum Besten eines Missionsfeldes wie Syrien, das reif ist für die Ernte.

Danke für deine Ehrlichkeit und Deine Zeit.

Das Interview führte Simon Diercks, Leiter des Bereiches Communication & Media

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (August – Oktober 2018) erschienen.