„Deine Schwächen sind am Ende große Stärken“

„Deine Schwächen sind am Ende große Stärken“

Helmut Fuchs wird in seiner Counseller-Ausbildung intensiv begleitet und erlebt, wie die Begegnung mit Jesus seine Lebenswunden zu heilen beginnt und seine Kunst neu ausrichtet.

Du lässt dich momentan bei der Akademie für psychosoziale Lebensberatung in Südtirol zum Counsellor – Lebensberaterausbilden. Was beinhaltet diese Ausbildung und was hat Dich daran fasziniert?

Die Ausbildung orientiert sich an der Systemtheorie, die das Denken von Bewertungen wie richtig oder falsch, gut oder böse, unschuldig und schuldig löst. Counsellor beraten und begleiten Menschen in schwierigen Situationen. Ich habe eine starke Biographie und mich immer schon für Menschen interessiert. An sich bin ich gelernter Maschinenschlosser, aber das ist schon 38 Jahre her. Warum ich jetzt die Ausbildung mache, kann ich gar nicht genau sagen – vielleicht ist es einfach Gott-bestimmt.

Als Counsellor wirst du dich intensiv in die Begleitung von Menschen investieren. Wie hast du persönlich solche Begleitung erlebt?

Momentan begleitet mich Ulrike Wiegner, eine meiner Ausbilderinnen. Und das ist einer der intensivsten Zeiträume in meinem Leben. Durch die Ausbildung bin ich tiefer in mich hinein gegangen und habe versucht, meine Geschichte aufzuarbeiten. Ich bin Vollwaise, seit ich fünf Jahre alt bin, habe zwei Brüder verloren und keine gute Kindheit und Jugend gehabt. Alles das ist jetzt durch die Aufarbeitung aufgebrochen. In dieser Zeit brauchte ich jemanden, der mich auffängt. Das hat Ulrike geschafft.

Du bist auch Künstler und schaffst aus Metall Kunstwerke von betörender Ästhetik und manchmal bedrückender Traurigkeit. Spiegelt sich in ihnen deine Biographie wieder?

Eisen ist ein Werkstoff, der mir sehr liegt. Er ist sehr schwer zu bearbeiten. Man sieht in meinen Kunstwerken, wie unterschiedlich ich sein kann. Ich habe Lichtgestalten dort und auch Werke, die viel mehr Schmerz ausdrücken.

Retrospektiv kann ich sagen, dass diese Werke das widerspiegeln, was man den Weltschmerz nennen könnte. Aber es war keine bewusste Herangehensweise, es sind spontane Werke. Ich denke, dass sich meine Werke und auch der Werkstoff in Zukunft verändert. Weil ich mit dem schmerzhaften Thema am Ende bin. Deshalb will ich nicht ins Liebliche gehen – das liegt mir nicht. Aber vielleicht ins Helle – also vom Dunklen ins Licht.

Wie bist du dazu gekommen, dich so künstlerisch auszudrücken?

Das war schon mein Wunsch als Bub, damals durfte ich das aber nicht. Durfte keine Kunstschule besuchen, sondern musste einen Job als Maschinenbauer machen. Der hatte mit dem, was ich jetzt mache, überhaupt nichts zu tun. Das einzige, was beides verbindet, ist der Werkstoff Eisen. Zur Kunst bin per Zufall durch einen großen Auftrag gekommen: Ich habe ein Bergkloster gestaltet. Dabei ist in wenigen Jahren das ausgebrochen, was immer in mir geschlummert hat.

Was bedeutet es Dir heute, persönliche Wegbegleiter zu haben und inwiefern ist Jesus Christus für dich zu einem geworden?

Ich war als Kind sehr gläubig. Aber durch das Leiden an anderen Christen bin ich extrem enttäuscht worden. So habe ich den Glauben an Jesus verloren. Ulrike hat mich mit einem Pastor zusammengebracht, der einfach nur die Hand auf meine Schulter gelegt und für mich gebetet hat. Das war so ergreifend, dass ich dann dem Glauben wieder nachgegangen bin und jetzt sagen kann: ich werde das nicht wieder wegwerfen. Der Glaube gehört jetzt zu meinem Leben.

Was hat sich durch deine Lebensübergabe an Jesus in Dir geändert?

Ich bin immer auf mich selbst angewiesen gewesen. Als ich ein Jahr alt war, ist meine Mutter, später ein Bruder gestorben. Mit fünf Jahren mein Vater und ein weiterer Bruder tödlich verunglückt. Ich bin von einem Ort zum anderen geschoben worden und hatte nie die Möglichkeit, mich irgendwo sicher zu fühlen. Und so habe ich gelernt, mein Leben selbst zu gestalten und geglaubt, ich muss alles selbst machen. Das hat mich an den Rand meiner physischen und psychischen Möglichkeiten gebracht. Jetzt habe ich eine Instanz in Jesus und Gott, wo ich vieles von dem ablegen kann, will und darf. Auch wenn mir das nicht immer gelingt, weil ich immer wieder in alte Muster verfalle. Ich bin noch nicht geheilt, aber ich weiß, dass es in die richtige Richtung geht.

Was möchtest du als zukünftiger Counsellor den Menschen geben, die du begleiten wirst?

Im Moment bin ich in einer schweren Zeit und zweifle oft, ob ich wirklich geschaffen bin dafür, Menschen zu begleiten. Von meiner Biographie und meiner Lebensweisheit vielleicht schon, aber ob ich die psychische Konstitution habe? Im Moment fällt mir das schwer, weil ich alle Leiden anderer ganz stark empfinde und mittrage. Aber der Wunsch wäre schon – das habe ich mal gelesen, dass ich ein „Schiff mit Tiefgang bin, um auch Menschen zu erreichen, die ganz tief unten sind“. Weniger jemanden zu heilen oder helfen, sondern da zu sein für ihn und ein offenes Ohr zu haben und das teilen können, was ich habe. Ich lerne von Ulrike, wie sie immer Positivität und Humor hat, sich nicht runterziehen lässt und es schafft, stabil zu bleiben.

Wie geht es nun weiter auf deinem Weg mit Jesus?

Ich werde das nicht mehr loslassen, das gehört zu mir. Ich werde für ihn da sein und er für mich. Das ist eine Sache, die ich gesucht habe – und die habe ich gefunden.

Was gibst du unseren Lesern mit?

Den Mut aufzubringen, sich zu zeigen: mit allen Schwächen, die man hat. Denn sie sind am Ende große Stärken. Damit fängt Heilung an: nichts von dem, was man ist, verdrängen. Es anschauen und auch zeigen dürfen. Und keine Angst davor zu haben, dass einen jemand verurteilt.

Danke für das mutig ehrliche Gespräch.

Das Interview führte Simon Diercks, Referent für Öffentlichkeitsarbeit

Das ausführliche Interview im Weltbeweger-Podcast
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Helmut Fuchs

Ulrike Wiegner war von 2007-2017 Missionarin der Allianz-Mission in Südtirol, Italien und arbeitet nun bei ApL Südtirol.

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Februar-April 2019) erschienen.