Von Nilpferden und geistlicher Verstopfung

Von Nilpferden und geistlicher Verstopfung

Prof. Tobias Faix lernte als junger Pastor Mentoring lieben. Simon Diercks sprach mit ihm darüber, welche Bedeutung Mentoring für Mission und die Gemeinde von morgen hat.

Herr Faix, Sie haben Professuren für Praktische Theologie, Gemeindepädagogik, interkulturelle und empirische Theologie in Kassel an der CVJM-Hochschule und sind dazu noch Professor für Missionswissenschaft in Pretoria (Südafrika). Und in Kassel leiten Sie das Forschungsinstitut empirica für Jugendkultur und Religion. Was verbindet all das für Sie?

Nah bei Gott zu sein und nah bei den Menschen. Von Haus aus bin ich Missionswissenschaftler und glaube, dass Gottes große Mission in dieser Welt sichtbar wird und das sich auch in der Gemeinde zeigt. Gemeindearbeit würde ich immer von der Mission Gottes her sehen. Ich bin da geprägt durch meine Zeit in Südafrika. Diese interkulturelle Zusammenarbeit ist mir sehr wichtig, weil wir in Deutschland von der Theologie und Glaubenspraxis viel lernen können.

Neben anderen haben Sie auch Bücher zu Mentoring verfasst und engagieren sich im christlichen Mentoringnetzwerk C-Mentoring. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Ich glaube, wir leben in einer echt spannenden Zeit voller gesellschaftlicher und geistlicher Umbrüche. Das bringt neben viel Fortschritt und Gutem – auch eine große Verunsicherung. Gerade in der neuen Generation sehnen sich viele nach sicheren Räumen, da vieles im Alltag infrage gestellt wird durch Pluralismus, Individualismus, Digitalisierung und Globalisierung. Alles verändert sich. Ich merke, dass viele junge Leute sich sehnen nach einem Raum, wo man sicher ist, Dinge ausprobieren kann, Fehler machen kann. So jemand, der schon etwas mehr Erfahrung hat, Sicherheit gibt. Nicht, weil er alles vorgibt oder vorsagt, sondern weil man sich selbst entdecken kann darin.

Persönlich gefragt: Wer waren für Sie Wegbegleiter und wie haben diese Sie und ihren Glauben geprägt?

Meinen wichtigsten Mentor hatte ich während meiner ersten Berufsjahre als junger Pastor. Ich kam nach fünf Jahren Theologiestudium in die Gemeinde, wollte die Welt verändern und habe dann gemerkt, dass die eigene Gemeinde schon nicht so wollte. War frisch verheiratet, wir bekamen zwei Töchter. Da waren viele Umbrüche in meinem Leben. Und ich habe gemerkt, dass meine schöne Hochglanz-Theologie des Studiums gar nicht so gefragt war in der Gemeinde, sondern eher Seelsorge und praktische Fragen. Es gab viele Konflikte: zwischen Jugend und Älteren und zwischen verschiedenen Frömmigkeitstraditionen. Da jemanden zu haben, mit dem ich mich zurückziehen konnte, mit dem ich die Dinge besprechen konnte, der mir Fragen gestellt hat, das war ein großer Schatz. Wir sind oft durch den Wald gelaufen und er hat zugehört, nachgefragt und mir geholfen, selbst auf die Spur zu kommen. Und manchmal auch, mit mir ins Reine zu kommen.

Hat die Erfahrung eines Begleiters, den man so nah an sich heranlässt, Ihr Gottesbild verändert?

Definitiv! Mein Mentor hatte einen sehr mystischen Glaubenszugang und fand katholische Heilige toll. Da war ich sehr kritisch und würde auch manches heute noch kritisch sehen, aber ich habe gelernt, dass Gott viel größer ist als die Box, aus der ich komme. Gerade in Krisensituationen war das wichtig. Wie als innerhalb eines Jahres drei Mütter gestorben sind und ihre Ehemänner und elf kleine Kinder hinterlassen haben. Da war ich als junger Pastor am Rand oder auch überfordert. Da immer wieder für meine Fragen an Gott und auch meine Verzweiflung einen Raum zu finden, wo ich reden konnte, wo mich jemand aushielt, wo ich schweigen konnte, das hat mir geholfen, wieder Kraft gegeben für die Begleitung. Und mein Gottesbild verändert: Mein Mentor hat mir geholfen, es auszuhalten, manchmal keine Antwort zu haben. Auch Gott auszuhalten: dass ich in Jesus vieles verstehen kann, aber Gott doch auch ein Mysterium bleiben darf, weil er größer ist.

Wenn Mentoring ein Tier wäre, wäre es ein Nilpferd – haben Sie im YouTube-Kanal von C-Mentoring behauptet. Können Sie mir das erklären?

Ich mag Nilpferde unglaublich, weil sie so unterschätzt werden. Sie liegen im Wasser oder grasen nachts und machen so einen friedlichen, lieben, behäbigen Eindruck. Aber: Sie gehören zu den schnellsten Säugetieren an Land und zu den gefährlichsten, wenn man ihnen zu nahekommt. Es sind total faszinierende Tiere. Wie Mentoring: Es sieht sehr unscheinbar aus, braucht auch keine große Bühne. Aber Mentoring hat eine Kraft, einzelne, ganze Gemeinden und auch Missionswerke zu verändern, weil es Menschen eine große Sicherheit und eine nachhaltige Struktur gibt.

Was macht einen guten Mentor aus?

Ein Mentor sollte Gott und Menschen lieben, geduldig sein, nicht besserwisserisch. Er sollte keine Entscheidungen treffen für die Mentees, sondern sie sollen selbst Entscheidungen treffen. Die Chemie muss stimmen. Und Freiheit gehört auch dazu: Mentoring bedeutet nicht, den Mentor zu heiraten. Man geht zusammen einen Weg in einer gewissen Verbindlichkeit, aber der Weg endet auch wieder. Wichtig ist: Zeit haben. Alle zwei oder vier Wochen, aber dann ist klar: da trifft man sich.

In Ihrem Buch „Warum ich nicht mehr glaube“ beschreiben Sie, wie junge Leute irgendwann ihren Glauben an Jesus aufgeben. Was braucht die nächste Generation für eine Begleitung für einen gesunden und starken Glauben?

Das war sicherlich die schwierigste und emotionalste Studie, die wir je gemacht haben. Die jungen Leute wollten nicht nur nicht mehr glauben, sondern sie konnten es vielfach auch nicht mehr. Weil sie moralischen Druck, geistlichen oder sexuellen Missbrauch erlebt haben. Ein Beispiel: ein junger Mann, der am Glauben zweifelte. Er hat sich geschämt für diese Zweifel. In seinem Umfeld war das ein Zeichen für Unglaube und Unreife. Er hat keinen Raum gehabt, wo diese Zweifel mal gesagt, geäußert, diskutiert werden konnten. Er beschrieb, wie die Zweifel irgendwann seinen Glauben erstickt haben und viel in seinem Leben kaputt gegangen ist. Da wäre Mentoring eine mögliche Prophylaxe gewesen: ein sicherer Raum, wo das besprochen werden kann, wo Zweifel nichts Schlimmes sind und wo erklärt wird, das Glaube Vertrauen bedeutet, zu dem ein gewisser Grundzweifel dazugehört.

Sie kommen ja von den Missionswissenschaften her. Wann sind Sie das erste Mal mit Mission persönlich in Kontakt gekommen?

Daran erinnere ich mich noch gut: Ich war acht Jahre alt, als ein Freund meines Vaters zu Besuch kam, der Missionar in Peru war. Er hat meinem Vater als Geschenk einen Totschläger von den peruanischen Indianern mitgebracht und erklärt, wie man damit ganz schnell einen Menschen töten kann. Das hat mich damals als Kind total beeindruckt. So waren für mich Missionare viele Jahre lang Helden, die weit weg mit wilden Menschen gekämpft haben. Dann gab es eine Zeit, in der ich sehr kritisch gegenüber Mission war. Über die Studienzeit in Südafrika, wo Mission in Zusammenhang mit Kolonialisierung und Post-Kolonialisierung sehr gründlich aufgearbeitet wurde, habe ich dann ein ganz neues Verständnis von Mission bekommen, mit dem ich versöhnt wurde und das ich auch heute versuche zu leben und zu lehren.

Mit Johannes Reimer haben Sie einige Bände zu Transformationsstudien veröffentlicht. Wenn Gemeinde von morgen gesellschaftstransformierend sein soll, welchen Anteil haben dann Formen der individuellen Begleitung daran?

Ich glaube, dass das eine das andere bedingt. Transformationbeinhaltet die Veränderung von Herzen und Verhältnissen. Es ist eine Glaubensentwicklung: Wenn ich mich nur um meinen Glauben kümmere, habe ich irgendwann eine geistliche Verstopfung und das tut mir nicht gut. Wenn ich nur ständig gebe, werde ich in einen Burnout kommen. Ich brauche beides. Der südafrikanische Missionstheologe David Bosch hat das Bild von der kreativen Spannung gebraucht: zwischen Wort und Tat und zwischen geistlichem Handeln an mir und meinem geistlichen Handeln an anderen. Diese Spannung gilt es immer wieder zu überprüfen und aufrechtzuerhalten.

Was geben Sie unseren Lesern mit?

Tu dir was Gutes, mach Mentoring!

Das Interview führte Simon Diercks, Referent für Öffentlichkeitsarbeit

Das ausführliche Interview im Podcast

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Februar-April 2019) erschienen.