Trotzdem Ebenbild

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Was haben Menschenwürde und christlicher Glaube miteinander zu tun und in welchen Zu- und Anpruch versetzt uns das heute? Theologieprofessor Markus Iff gibt einen Überblick.

„Gott und die Würde des Menschen“1 – so lautet der Titel einer 2017 veröffentlichten theologischen Studie. Dieser Titel bringt die Menschenwürde aus christlicher Sicht auf den Punkt: Jeder Mensch ist auf Gott bezogen und zur Gemeinschaft mit Gott bestimmt. Dieser Bestimmung kann ein Mensch widersprechen, aber er kann sie nie verlieren.

Der Begriff der Würde des Menschen hat eine lange Tradition. In der römischen Antike wurde er verwendet, um die hervorgehobene Stellung Einzelner in einer Gesellschaft zu bezeichnen. Zuvor hat sich in der griechischen Philosophie eine Befreiung des Menschen aus schicksalhafter Abhängigkeit von Naturkräften vollzogen, und zwar durch Formen von Bildung, die Menschen zu vernünftigem, selbstständigem Denken und Handeln anleitet. Im jüdischen und christlichen Glauben verbindet sich der Gedanke der natürlichen Gleichheit aller Menschen mit der Vorstellung, dass vor Gott jedes Individuum die Würde des Menschengeschlechtes repräsentiert. Die Renaissance-Humanisten richteten dann den Blick darauf, dass die Würde des Menschen eine säkulare Übersetzung der Gottebenbildlichkeit sei. Und schließlich führen der europäische Humanismus und die Moderne dazu, dass die Würde des Einzelnen politisch-rechtlich abgesichert wird.2 Folge davon ist, dass in vielen demokratischen Staaten Menschenwürde das ethische Fundament einer freiheitlichen Rechtsordnung und anerkannter Menschenrechte ist, wie beispielsweise im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.3

Die Idee der Menschenwürde verdankt dem Judentum und dem Christentum somit entscheidende Impulse. Dafür ist das biblische Menschenbild grundlegend. Dieses ist reichhaltig, denn es stellt nicht nur die Erschaffung, sondern auch die Erlösung und die Vollendung des Menschen vor Augen. Damit wird die Würde des Menschen auf vielfältige Weise begründet. Die biblische Schöpfungsgeschichte verbindet Gottes Schöpferkraft mit der Gottebenbildlichkeit jedes einzelnen Menschen (1. Mose 1,26f). JederMensch ist Bild Gottes, unabhängig von Geschlecht und Nation, Alter und Bildung, Religion und Moral, Stärke und Schwäche. Die Bibel verschweigt nicht die Schwierigkeiten von Menschen, die Würde und die Rechte anderer Menschen anzuerkennen und zu respektieren. Sie kennt Zeiten, in denen große Krisen, Armut, Sklaverei, Krieg, Flucht und Vertreibung herrschen und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Und sie stellt diese Probleme in den Zusammenhang mit der bitteren Realität eines Lebens „jenseits von Eden“ (1. Mose 3,23), der Brutalität der Sünde (1. Mose 4) und ihren weitreichenden Folgen für menschliches Leben und Zusammenleben. Die Propheten Israels klagen nicht nur individuelle Hilfen für Entrechtete und Schwache ein, sondern – im Rahmen ihrer Zeit – auch gerechtere Strukturen (Amos 4,1-3; 5,7), in denen die Rechte von Menschen geachtet werden. Für Jesus ist die Liebe zu den Sündern, aber auch die Option für die Armen Lebensprogramm (Lukas 4,18-19; Jesaja 61,1-2), wie seine erste Predigt in der Synagoge von Nazareth unmissverständlich klarmacht.

Aufbauend auf dem biblischen Zeugnis begründen Christen weltweit und in unterschiedlichen Konfessionen die Würde des Menschen mit unterschiedlichen Argumenten und setzen sich für die daraus folgenden Menschenrechte ein. Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes. Darin ist seine Würde, aber auch seine Individualität und nicht austauschbare Personalität begründet. Die Würde eines Menschen kann ignoriert oder missachtet, sie kann ihm aber aus christlicher Sicht nicht genommen werden, weil sie in Gott begründet ist. Sie besteht gerade auch angesichts menschlicher Sünde, Unvollkommenheit und Endlichkeit. Menschen, die an der Entfaltung ihrer Gaben durch Lebensumstände gehindert werden, haben die gleiche Würde wie Menschen, die ihre Talente ausbilden und sichtbar einsetzen können. Die Begegnung mit leidenden, kranken und sterbenden Menschen lässt uns tiefer verstehen, dass Würde im christlichen Sinne in keiner Weise an Erfolg, Schönheit und Gesundheit hängt. Gott ist in Jesus Mensch geworden und hat sich mit den Sündern („Freund der Sünder“, Matthäus 11,19; Lukas 7,34) den Ausgestoßenen, Leidenden und Sterben identifiziert. Deshalb hat für Christen der Mensch in seiner Verletzlichkeit und Schwäche, in seinem Versagen und seiner Schuld unverlierbar Würde und daraus folgende Rechte. Alle Menschen sind durch das Evangelium von Jesus Christus dazu berufen, Ebenbild Jesu Christi zu sein (Römer 8,29). Auch damit kann aus christlicher Sicht die Würde des Menschen begründet werden.

Im Rahmen des 500jährigen Gedenkens an die Reformation im Jahr 2017 haben die Evangelischen Freikirchen in Deutschland sich zu den Menschenrechten bekannt, die sich daraus ergeben, dass Gott jeden Menschen durch das Evangelium von Jesus Christus würdigt. Dort heißt es unter der Überschrift „Glaube an Christus befreit“: „Als Ausdruck unseres Glaubens engagieren wir uns für Menschenrechte, für Religions- und Gewissensfreiheit, für Frieden, Respekt und Chancengleichheit.“4

Prof. Dr. Markus Iff ist Professor für Systematische Theologie und Ökumenik an der Theologischen Hochschule Ewersbach

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Mai – Juli 2020) erschienen.

1 Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Hrsg.): Gott und die Würde des Menschen, Paderborn-Leipzig 2017.
2 L. Kühnhardt: Die Universalität der Menschenrechte. Studien zur ideengeschichtlichen Bestimmung eines politischen Schlüsselbegriffs, 2. Aufl. Bonn 1991, S. 67–85.
3 E.-W. Böckenförde: Die Menschenwürde als normatives Prinzip, in: Ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 2006, S. 389–406.
4 Vereinigung Evangelischer Freikirchen (Hrsg.): Glaube an Christus befreit, in: MD 67, 6/2016, 139.