5 weltweite Megatrends und ihre Auswirkungen auf Mission und Gemeinde

5 weltweite Megatrends und ihre Auswirkungen auf Mission und Gemeinde

Was verändert sich gerade weltweit? Eine große Frage und eine wichtige dazu. Wagen wir einen ersten, nennen wir es Annäherungsversuch. Dabei fragen und suchen wir nach Entwicklungen, die langfristig sind, global verbreitet auftreten und zusätzlich mit einer großen Widerstandsfähigkeit ausgestattet sind. Kurz: die großen globalen Megatrends, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Es geht dabei nicht um Prognosen im Sinne von fixierten Endergebnissen, sondern darum, Prozesse wahrzunehmen und zu verstehen. Wenn es gut läuft, fließen daraus Erkenntnisse und Handlungsschritte für die Zukunft von Gemeinde und Mission.

Der Trendforscher Matthias Horx stellt in seiner Megatrend-Karte zwölf zentrale Trends unserer Zeit vor. Für so viele Megatrends reicht der Platz hier nicht. Dazu schreibt und forscht Horx aus einer westlichen Perspektive. Aber wer Lust hat, hier tiefer zu graben, findet bei ihm weiterführende Texte und Materialien.

Horx nennt Megatrends „die größten Treiber des Wandels, die alle Aspekte von Wirtschaft und Gesellschaft maßgeblich beeinflussen – nicht nur kurzfristig, sondern auf mittlere bis lange Sicht“, dazu sind sie „nie linear und eindimensional, sondern vielfältig, komplex und vernetzt. Sie wirken nicht isoliert, sondern beeinflussen sich gegenseitig und verstärken sich so in ihrer Wirkung.“

Steigen wir also auf in die globale Vogelperspektive. Dabei blicken wir mit einem besonderen Interesse auf das Thema Mission, denn die Mission Gottes ereignet sich ja gerade in einem globalen Kontext.

TOP Veränderung Nummer 1: Urbanisierung

Ein paar Zahlen und schnell wird deutlich, über was wir reden: Jedes Jahr ziehen 0,5 – 1 % der Weltbevölkerung von einem ländlichen in einen urbanen Lebenskontext – sprich in große Städte oder Ballungszentren. Heute leben 52 % der Weltbevölkerung in Städten, in 25 Jahren werden es schon 70 % sein.

Eine andere Zahl, die diesen Trend unterstreicht, ist die wachsende Zahl an Megacitys. Megacitys, so werden Städte genannt, in denen mehr als 10 Millionen Menschen leben. Heute gibt es davon 28. Bereits im Jahr 2030 werden sich 41 Städte so nennen dürfen. Die meisten davon übrigens in Asien.

Das bedeutet: Menschen werden in einer noch größeren kulturellen Vielfalt zusammenleben. Gemeinden in diesen Städten werden international geprägt sein müssen und sie werden herausgefordert sein, das Evangelium konsequent als eine ganzheitlich gute Nachricht in Wort und Tat zu predigen. Denn es ist leicht auszurechnen, dass die sozialen Probleme und Herausforderungen in solchen urbanen Kontexten steigen.

TOP Veränderungen Nummer 2: Mobilität und Migrationsströme

Beim Stichwort Mobilität geht es um mehr als die Frage, wie wir schnell, sauber und sicher von A nach B kommen. Ich denke z. B. auch an geistliche Mobilität, soziale Mobilität und natürlich an Migrationsströme und Fluchtbewegungen weltweit. Da ist die Migration vom Land in die Stadt (siehe oben), da ist das Thema Arbeits- und Wirtschaftsmigration und viele Menschen, die auf der Flucht sind aufgrund von Glaubensüberzeugungen oder politischer Haltung. Schätzungen zufolge leben und arbeiten aktuell weltweit 200 Millionen Menschen nicht mehr in dem Land, in dem sie aufgewachsen sind. In Europa ist Brüssel die internationalste Stadt und das nicht nur, weil die EU-Kommission und -Behörden dort ihren Sitz haben. Etwa 60 % der Einwohner Brüssels sind nicht in Belgien geboren. In Deutschland ist Frankfurt bei diesem Thema auf Platz eins. Mehr als 50 % der Einwohner Frankfurts haben einen Migrationshintergrund. Das bedeutet: Wer in Frankfurt eine Gemeinde gründen will, um Menschen für Jesus zu gewinnen, der muss sich damit beschäftigen, was das für eine Gemeindeneugründung bedeutet. Jedenfalls dann, wenn er nicht an der größten Einwohnergruppe Frankfurts vorbei Gemeinde gründen möchte.

Und auch das ist interessant: 1/5 der weltweiten Migranten verteilen sich auf gerade einmal 18 Großstädte weltweit. Städte wie Toronto, Brüssel und Chicago entwickeln sich zu globalen Knotenpunkten. Diese Städte wirken wie ein Schmelztiegel der Globalisierung. Das bedeutet auch, dass wir es mehr und mehr mit Menschen zu tun haben, die unterschiedliche Kulturen und Traditionen in sich verbinden, Menschen also mit hybriden Biografien. Das ist eine große Chance und Herausforderung für die etablierten Kirchen in diesen Städten. Wenn wir es schaffen, dass Gemeinden hier voneinander lernen und wir die Separation von Migrantengemeinden Stück für Stück überwinden bei gleichzeitiger Bewahrung ihres je eignen Charakters, das wäre ein großer Gewinn für das Reich Gottes. Hier liegt eine große Aufgabe für Gemeinde und Mission.

TOP Veränderung Nummer 3: Der Rückzug des Westens

Es ist eine Wahrheit, die wir vielleicht nicht gerne lesen: Der Einfluss der klassischen westlichen Welt (Europa, Nordamerika und Australien) nimmt mehr und mehr ab. Das bedeutet auch, unsere westliche Sicht, die Welt zu verstehen, unser westliches Weltbild und unsere Werte sind auf dem Rückzug. Vor allem Asien gehört die Zukunft. Das aktuelle Buch „China First“ von Theo Sommer bietet ein Feuerwerk an Zahlen und Fakten, die das unterstreichen.

Ein Beispiel gefällig? Innerhalb von 10 Jahren sind in China (11.000 km von Deutschland) 800 Millionen Menschen aus der bitteren Armut in die Mittelschicht aufgestiegen mit enormen Folgen, nicht nur für China selbst. Das ist ein gewaltiger, so noch nie dagewesener Wirtschaftsprozess. Aber ich rede nicht nur über ökonomische Zusammenhänge. Weit mehr als 2/3 der weltweiten Christenheit leben heute im globalen Süden. Die Zahl der Missionare aus nicht westlichen Ländern – wie Nigeria, Brasilien, China, Korea und den Philippinen – wächst acht Mal schneller als die Zahl der Missionare aus den klassischen Entsende-Ländern früherer Jahre. Das bedeutet: Es wird in Zukunft noch mehr als in der Vergangenheit darauf ankommen, echte, sich gegenseitig bereichernde, ergänzende und auf Beziehung hin angelegte Zusammenarbeit auf möglichst vielen Ebenen in der Mission und der weltweiten Kirche zu entwickeln.

TOP Veränderung Nummer 4: Neue Ökologie

Man muss kein Fan der „Friday for Future“-Bewegung sein, um zu verstehen, dass im Hinblick auf die ökologischen Herausforderungen dringend Handlungsbedarf besteht. Das bewegt immer mehr Menschen, natürlich die jetzt heranwachsende Generation, aber nicht nur die. Ich treffe mehr und mehr Menschen, die mich in meiner Verantwortung als Leiter der Allianz-Mission ansprechen und fragen, wie wir in der Mission mit diesem Themen umgehen. Hier muss theologisch gearbeitet werden.

Aus meiner Sicht schließt ein ganzheitliches missionarisches Engagement unbedingt ökologische Fragen und Herausforderungen mit ein. Aber nicht rückwärtsgewandt, sondern eine Ökologie, die aus der Zukunft auf uns zukommt. Eine Ökologie, die nicht technologiefeindlich daherkommt, sondern durch Technologie und intelligente Systeme versucht, Lösungen zu finden. Der Motor einer „Neuen Ökologie“ sind daher nicht in erster Linie Schuldgefühle, Angst und Verzicht, sondern ein lustvolles, progressives und fortschrittliches Sehen, auf das, was möglich, aber auch, was notwendig ist.

Ich meine, dass das Evangelium hier viele Anknüpfungspunkte bietet: dass wir uns aus der Freiheit des Glaubens zur Ehre Gottes für seine Schöpfung einsetzen. Und auf diese Weise, wo immer möglich, einen Vorgeschmack auf das neue Reich Gottes entstehen lassen, bis am Ende der Tage Gott selbst seine Schöpfung samt allen destruktiven Strukturen erneuert und von der Last der Vergänglichkeit befreit.

TOP Veränderung Nummer 5: Konnektivität

Wo bleibt eigentlich das Thema Digitalisierung? Ich meine, dass die Digitalisierung und alles, was wir damit verbinden, nur einen tieferliegenden Prozess reflektiert – die Konnektivität: das Verbundensein von immer mehr Regionen, Kulturen, Menschen, Wirtschaftsformen in einem gewaltigen Prozess, der sich rund um den Planeten spinnt und alle Prozesse, die wir kennen, beschleunigt.

In dieser Form ist Konnektivität ein gewaltiger Motor vieler auch in diesem Artikel angerissener Entwicklungen. Halten wir nur einmal kurz inne und stellen uns vor, wie die ersten Missionare der Allianz-Mission ausreisten: in welche „neue Welt“ sie aufbrachen, wie lange ihre Reise ging, wie ihre Verbindung nach Deutschland aussah. Haben Sie es vor Augen? Und dann blicke ich auf die letzten Monate zurück. Auf die erste dreitägige Online-Konferenz mit über 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Allianz-Mission. Ich denke an unsere Youtube-Sendung „AM live“ und die damit verbundenen Möglichkeiten, in 45 Minuten Sendezeit Interviews mit Partnern aus den Ländern, in denen wir arbeiten und unseren Mitarbeitern zu führen. So senden wir spannende Liveberichte über unsere Projekte vor Ort, ohne großen finanziellen Aufwand und mit über tausend Klicks pro Sendung. So wächst das Verständnis dafür, was Mission ist und dass wir Teil einer weltweiten Gemeinde Jesu sind, die sich gegenseitig braucht.

Oder ich denke an Missionarinnen und Missionare, die per Zoom in Gottesdienste und Gebetsgruppen ihrer Partnergemeinden dazugeschaltet werden, um ganz selbstverständlich, wie jeder andere auch, an dem Treffen der sendenden Ortsgemeinde teilzunehmen. Und das ist nur ein praktisches Beispiel für Konnektivität und die sich damit verbindenden Chancen.

Es gäbe dazu noch vieles zu schreiben, natürlich auch die Seiten, die Schwierigkeiten bereiten. Aber ich will und muss hier zum Schluss kommen. Natürlich, jeder Trend entwickelt immer einen Gegentrend. Stand zum Beispiel in den 1990ern und im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends noch die Globalisierung über allem, ist nicht erst seit Donald Trump auch ein deutlicher Gegentrend wahrzunehmen. Eben hin zu mehr nationalem Bewusstsein und dem Willen zu Handelsbeschränkungen statt Handelsfreiheit als oberste Maxime. Die zukünftige Entwicklung geschieht genau im Aushandeln dieser Pole. Die Zukunft entwickelt sich also als Synthese zwischen Trend und Gegentrend. Und hier liegt das eigentlich produktive Zukunftsfeld. Diejenigen, die fähig und willens sind, sich in diesem produktiven Zukunftsfeld zu bewegen, denen gehört die Zukunft. Und ich möchte unbedingt, dass Gemeinde und Mission dabei sind. Deswegen ist es so wichtig, dass wir wach sind, wahrnehmen und unsere Beobachtungen miteinander teilen und vor allem: sie geistlich bewerten. Das wird besonders wichtig sein auf unserem Weg in die Zukunft. Gut, dass Gott uns seinen Geist gibt. Wir brauchen in Gemeinde und Mission Menschen mit vielfältigen Begabungen – Gottes Begabungen. So brechen wir auf, experimentieren mutig, machen Fehler und lassen uns nicht Angst einjagen, denn unsere Zukunft ist Gottes Zukunft.

Thomas Schech ist Missionsleiter

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (November 2020 – Januar 2021) erschienen.