Evangelium neu verkörpern

Evangelium neu verkörpern

Das Evangelium braucht der Mensch wie Essen. Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, es weiterzugeben, in und außerhalb des gemeindlichen Kontextes. Matthias Ehmann wirft einen Blick auf neue Formen von Gemeinde oder offener gefasst: Orten, an denen Menschen zusammenkommen und Jesus begegnen.

Für jeden Bäcker eine Gemeinde

Ich lebe mit meiner Familie in Würzburg in einem Stadtteil zusammen mit etwa 10.000 anderen Menschen. Bei uns im Stadtteil gibt es fünf Bäcker. In verschiedenen größeren Supermärkten und kleineren Lädchen kann man auch noch Brot bekommen. Der Mensch muss schließlich essen und Brot ist für uns in Deutschland ein Grundnahrungsmittel.

Vor einigen Jahren gab es in unserem Stadtteil vier christliche Gemeinden. Zwischenzeitlich waren es nur noch drei, denn zwei Landeskirchen wurden zusammengelegt. Es gibt eine römisch-katholische Pfarrei und eine kleine Pfingstgemeinde. Wahrscheinlich gibt es in den meisten Dörfern und Stadtteilen mehr Bäcker und Supermärkte, die Brot verkaufen, als Gemeinden. Das gilt umso mehr, als sich manche Kirchen teilweise aus der Fläche zurückziehen müssen, weil sie das Gemeindeleben nicht aufrechterhalten können.

Schade, denn ich bin überzeugt: Der Mensch braucht das Evangelium wie das Brot zum Leben. Nicht umsonst nutzt Jesus selbst dieses Bild. Der Mensch braucht es leicht zugänglich in seiner Nähe, am besten fußläufig und in unterschiedlichen Ausprägungen, die so vielseitig und kreativ sind wie die Menschen selbst.

Die eine Kirche trifft sich in einem mittelalterlichen Gebäude mit Orgel und Kunst, eine andere in einem Nachkriegsbau und die dritte in kleinen Räumen über einer Industriehalle. Sie alle feiern anders Gottesdienst. Vor drei Jahren ist meine eigene Freie evangelische Gemeinde neu in den Stadtteil gekommen. Wir haben kein Gemeindehaus, sondern feiern unseren Gottesdienst in einer Diskothek. Manche Menschen wird das niemals ansprechen, genauso wie andere niemals in einen liturgischen Gottesdienst in eine 800 Jahre alte Kirche gehen würden. Aber jetzt sind wir immerhin wieder zu viert im Stadtteil. Und ich wünsche mir, dass es noch mehr Orte gibt, an denen das Evangelium von Jesus Christus hier erlebbar und begreifbar wird.

Immer wieder neu

In der anglikanischen Kirche verpflichten sich Menschen, die eine Leitungsfunktion in einer Ortsgemeinde oder in der Gesamtkirche wahrnehmen, immer wieder neu ihrem Auftrag.1 In der Einleitung dazu heißt es, dass die Kirche dazu berufen sei, den Glauben an den dreieinen Gott „afresh in each generation“ weiterzugeben – also aufs Neue und auch auf frische Art und Weise für jede Generation.

Mich begeistert diese Formulierung, weil sie gut unsere Aufgabe weltweit und in unseren ganz konkreten Stadtteilen und Dörfern beschreibt: in jeder Generation, für jede Generation und jeden Kontext das Evangelium immer wieder aufs Neue in seiner ganzen, umfassenden Wirklichkeit und auch in kreativer, neuartiger Weise zu verkünden.

Gemeindegründungen sind dafür nicht der einzige Weg, aber eine besondere Möglichkeit. Das gilt für mich aus zwei Gründen: Zum einen gibt es schlicht zu wenige Gemeinden in unserem Land und auf dieser Welt. Zum anderen bieten Gemeindegründungen die Chance, neue Gemeindeformen kreativ auszuprobieren, um so neuen und anderen Menschen das Evangelium erlebbar und greifbar zu machen.

Gemeindegründung und neue Formen von Gemeinde

Damit es mehr lebendige Jesus-Gemeinschaften gibt, brauchen wir Gemeindegründung. Gerne können viele davon auch so sein wie die Gemeinden, die wir schon kennen. Tochtergemeindegründungen von bestehenden Gemeinden sind dafür ein guter Weg. Wir erleben das sowohl in Deutschland im Bund Freier evangelischer Gemeinden als auch in der Allianz-Mission, z. B. in den letzten Jahren auf Gran Canaria. Dafür bin ich dankbar.

Ich bin gleichzeitig überzeugt: Neben einer größeren Zahl von Gemeinden brauchen wir auch mehr Unterschiedlichkeit. Wir sollten immer wieder überlegen, wie das Evangelium auf neue Art und Weise in einer neuen Generation und in unterschiedlichen Kontexten erlebbar wird. Neue Formen von Gemeinde sind dafür eine super Möglichkeit. Sie sollten aus meiner Sicht immer lebendige Jesus-Gemeinschaften sein, die das Evangelium in Wort und Tat verkündigen, aber sie müssen dafür nicht unbedingt ein Gemeindehaus und einen Gottesdienst am Sonntagmorgen haben.

Welchen Namen man diesen Jesus-Gemeinschaften gibt, scheint mir nicht so wichtig, sondern die kreativen Wege, mit denen sie Orte und Gemeinschaften kreieren, an denen die Liebe Gottes erlebbar und die Gemeinschaft mit Jesus gesucht wird.

Das kann ein Treffpunkt wie der LadenEden in Duisburg sein.2 Er funktioniert wie ein Wohnzimmer für den Stadtteil. Hier kann man gemeinsam in einem CoWorking-Space arbeiten und mit dem Pastor einen Kaffee trinken. So passiert Seelsorge, ohne dass alle wissen, dass Christinnen und Christen das so nennen. Und Menschen bilden an diesem Ort eine neue Jesus-Gemeinschaft, die FeG Duisburg-City.

Als Allianz-Mission gründen wir klassischere Gemeinden, aber auch solche neuen Formen von Gemeinde. Damit erreichen wir andere Menschen und erfüllen so unseren Auftrag. In manchen Ländern, in welchen klassische Gemeinden kaum geduldet werden, bietet sich darüber hinaus so die Möglichkeit, weiter als Jesus-Gemeinschaft den Glauben gemeinsam zu leben und zu bezeugen. So leben es Missionarinnen und Missionare der Allianz-Mission z. B. im Haus des Segens in Südostsasien.

Ein Experiment: Gemeinde digital

Ich selbst überlege gerade mit Freunden, ob und wie eine Jesus-Gemeinschaft im Internet funktionieren kann. Uns geht es nicht darum, die Angebote einer Ortsgemeinde ins Netz einzuspeisen – was aus meiner Sicht superwichtig ist – oder bestehenden Gemeinden Konkurrenz zu machen, sondern eine neue Jesus-Gemeinschaft im Internet zu starten. Warum? Gemeinde sollte da das Evangelium erlebbar machen, wo Menschen sind. Und viele meiner Generation sind regelrecht im Netz zu Hause. Etwas Neues zu versuchen ist immer ein Risiko, ein Experiment. Das kann und darf schiefgehen, wie jede Gemeindegründung.

Aber was dann? Dann versuchen wir einfach auf‘s Neue, das Evangelium an einem konkreten Ort für eine konkrete Generation zu verkünden – nur Mut!

Prof. Dr. (Unisa) Matthias Ehmann ist Lehrbeauftragter für Missionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Theologischen Hochschule Ewersbach und Mitglied im Verwaltungsrat der Allianz-Mission

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Mai – Juli 2022) erschienen.

Matthias Ehmann im Interview in unserem Podcast „Weltbeweger“