Zusammen Gehen

Zusammen Gehen

Ziele kann man auf verschiedenen Wegen erreichen. Wie stark sich dabei Planung, Umsetzung und das gemeinsame Unterwegssein unterscheiden, hat Dr. Thomas Schmidt als Missionar in Vietnam erlebt und daraus gelernt, was er heute gerne weitergibt.

„Wenn du schnell sein willst, geh alleine, wenn du ankommen willst, geh zusammen.“

Dieses Sprichwort gab mir vor vielen Jahren – in meiner Zeit als Missionar in Hanoi – ein vietnamesischer Freund mit auf den Weg. Und es deutet auf einen Bereich, der in der partnerschaftlichen missionarischen Zusammenarbeit mit Einheimischen oft Reibung verursacht.

Wir Deutschen wollen in aller Regel schnell sein und zügig Ergebnisse sehen. Nach unserem Gefühl dauert es in manchen Treffen ewig, bis der Partner zum Punkt kommt. Da wird erstmal stundenlang Smalltalk gemacht, viel Tee getrunken und die wertvolle Planungszeit verrinnt scheinbar ziellos.

Dabei habe ich oft die ganz anderen Prioritäten und den ganz anderen Zeithorizont meines Gegenübers übersehen. Dem geht es erstmal darum, mich kennenzulernen und zu erspüren, ob er mir vertrauen kann. Erst wenn die Beziehung ein gewisses Fundament hat, kann man auch über das Geschäftliche reden.

Mir wurde diese Meetingkultur mehr und mehr vertraut und ich erinnere mich an ein schockierendes Gespräch in der deutschen Botschaft in Hanoi. Kaum hatten wir Platz genommen, als der deutsche Diplomat direkt mit den geschäftlichen Themen einstieg. Ich war innerlich entsetzt und dachte: „Was ist das denn für ein unhöflicher Typ? Der hat uns weder Tee angeboten noch nach unserer Familie gefragt?“

Wenn mir das nach wenigen Jahren schon so ging – da kann ich nur erahnen, wie wir mit unserer direkten Art bei den einheimischen Freunden angekommen sind. Eine weitere Begegnung ist mir stark im Gedächtnis geblieben: mit Herrn Binh – einem erfahrenen vietnamesischen Landrat. Bei einem Treffen wollten wir Ideen für ein gemeinsames Projekt diskutieren. Als visueller veranlagter Mensch hatte ich ein kleines Whiteboard mitgebracht, um meiner Punkte zu verdeutlichen. Nachdem ich – mit Hilfe des Whiteboards – die Zeitplanung des Projekts erläutert hatte, nahm Herr Binh die Tafel und zeichnete.

Dabei sagte er: „Wir haben schon eine lange Geschichte ohne euch. Ihr werdet uns vielleicht einige Jahre begleiten. Aber dann werdet ihr weiterziehen und wir werden wieder eine lange Geschichte ohne euch haben.“

Da musste ich erstmal schlucken. Aber er hatte völlig recht: Hatten wir nicht unbewusst in unseren Köpfen so ein Denken wie „Was habt ihr für ein Glück, dass wir nun endlich zu euch kommen. Jetzt fokussiert mal all euer Denken und eure Ressourcen auf unsere tollen Ideen, macht mit und wir krempeln mit euch dieses Dorf um.“? So hätte das keiner von uns formuliert, aber ich wage mal zu behaupten, dass so einige Aspekte davon unbewusst bei uns mitschwangen und es auch heute noch manchmal tun.

Da tun ein ordentlicher Schuss Demut und der Blick auf den weiten zeitlichen Horizont gut. Wenn es gut läuft, bekomme ich die Chance, eine Community (deutsch: lokale Gemeinschaft, z. B. Bewohner eines Dorfes oder Landkreises) von Menschen einige Jahre zu begleiten und gemeinsam mit ihnen zu lernen. Jesus ist aber schon seit Jahrhunderten aktiv in dieser Gemeinschaft und wird noch immer da sein, auch wenn ich schon längst wieder weg bin. Was hoffentlich bleibt, ist vor allem die lokale Gemeinschaft der Kinder Gottes – seine Kirche.

Die wichtigste Chance, einen nachhaltigen Beitrag zu leisten, ist es, Gottes Kirche vor Ort zu stärken. Die war in der Regel schon da und wird weiter dort sein. „Nachhaltigkeit liegt in Menschen und nicht in Projekten“, pflege ich heute zu sagen. Diese Erkenntnis hat sich mir tief eingeprägt. Daraus folgt, dass ich mich fragen muss: „Wie kann ich die lokale Kirche unterstützen, ihren Auftrag in ihrem Kontext nach ihren Schwerpunkten wirkungsvoll umzusetzen?“ Es geht eben nicht darum, dass ich meine Ideen mit Hilfe der lokalen Kirche verwirkliche.

Leider gibt es unzählige Beispiele in der Missionsgeschichte, wo weiße Missionare ihre Vorstellungen umgesetzt haben, ohne sich ausreichend Zeit zu nehmen, auf die Ziele und Werte der einheimischen Partner und Mitarbeiter zu hören. Auch in beeindruckenden Projekten wie beispielsweise großen Krankenhäusern. Spannend wird es, wenn die Missionarin oder der Missionar irgendwann das Land verlässt und der einheimische Partner das Projekt weiterführen soll. Manchmal hört man dann leider die Antwort: „Das war immer dein Projekt. Wir haben mitgemacht, solange du die Ressourcen und das Geld eingebracht hast. Aber wir haben andere Schwerpunkte.“

Wenn du schnell sein willst, geh alleine …

Immer wieder tappen wir in die Falle, schnelle Ergebnisse zu wollen. Und immer wieder sind uns die mühsamen Prozesse zu langwierig, mit den Partnern nach deren Prioritäten Ziele und Strategien zu entwickeln. In aller Regel rächt sich das später.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich glaube, dass es auch Aufgabe von Missionarinnen und Missionaren ist, neue Ideen und Fähigkeiten vor Ort einzubringen: z. B. beim Erreichen von Randgruppen. Also Menschen, die oftmals auch von der Kirche übersehen werden und um die sich niemand kümmert. Wie Straßenkinder, Opfer häuslicher Gewalt oder Prostituierte. Da war es wichtig, dass Missionarinnen und Missionare die Kirche herausgefordert haben, sich dieser Menschen anzunehmen. Aber bitte zusammen mit den einheimischen Glaubensgeschwistern und nicht alleine.

Wenn du ankommen willst, geh zusammen ….

Ich bin stolz darauf, mit Kolleginnen und Kollegen in der Allianz-Mission unterwegs zu sein, die oftmals mehrere Jahrzehnte mit einheimischen Christen auf dem Weg waren. Alle haben dafür einen Preis gezahlt. Die Partner sind auch keine Engel und können einem das Leben schwer machen. Aber über die Jahrzehnte entsteht Vertrauen und Menschen ändern sich. Die Einheimischen und vor allem wir. Als Missionare und einheimische Geschwister stolpern wir so gemeinsam Jesus hinterher. Mal liege ich auf der Nase und du hilfst mir auf und mal ist es umgekehrt. Menschen mit dieser Haltung werden weiter gebraucht und sind bei den Partnern willkommen.

Dr. Thomas Schmidt ist Bereichsleiter für Ostafrika sowie Personal- und Projektentwicklung

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Mai – Juli 2021) erschienen.