Nicht nur in Vietnam hat Dr. Jochen Fiebrantz erlebt: Gottes Liebe muss gesagt und getan werden. Diese Erkenntnis prägte seine Identität als Missionar und lässt ihn staunen, wie ganzheitliche Missionsarbeit selbst führende Kommunisten fasziniert.
„Sind wir überhaupt richtige Missionare?!” Diese unbequeme Frage beschäftigte uns zu Beginn unseres Dienstes in Vietnam sehr. Unser Engagement für Gesundheit und gegen Armut war in diesem kommunistischen Land ja durchaus willkommen. Die Zusammenarbeit mit einheimischen Gemeinden oder gar offene evangelistische Aktivitäten dagegen waren ausdrücklich verboten und wurden dementsprechend intensiv überwacht. Das brachte uns in ein inneres Dilemma: Was war denn jetzt eigentlich das Missionarische an der Projektarbeit, die wir hier im Namen der Allianz-Mission taten?
Bei der Suche nach Orientierung stießen wir auf spannende Erkenntnisse: die Entdeckung z. B., wie stark die seit der Aufklärung vorherrschende westliche Weltanschauung von der Trennung in eine faktisch-materielle und eine unsichtbar-geistliche Welt auch unser christliches Weltbild beeinflusst hat. Damals begann sich zu trennen, was eigentlich zusammengehört: soziales Engagement auf der einen Seite und evangelistische Verkündigung auf der anderen. Die Folgen waren gravierend: Soziale Aufbrüche ohne Herzensveränderung brachten keine dauerhafte Gerechtigkeit. Aber auch Bekehrungen ohne tiefgreifende Lebensveränderung erzeugten kaum spürbaren „Salzeffekt”.
In Vietnam hatten wir solche Beispiele direkt vor Augen: katholische Kirchen, die sich zwar vorbildlich sozial engagierten, durch Anpassung an die traditionelle Ahnenverehrung Menschen aber nicht in geistliche Freiheit führten. Evangelikale Gemeinden, die trotz Verfolgung treu durchgehalten hatten, sich dabei aber so stark abgesondert hatten, dass ihr Umfeld keinerlei Auswirkungen von Gottes Liebe mehr zu sehen bekam und diese seltsamen Christen nur noch als unpatriotische Sekte wahrnehmen konnte.
Unser Ringen um Antworten brachte uns zu einer tieferen Frage: Was liegt eigentlich Gott selbst am Herzen?
Interessiert er sich wirklich für so diesseitige Dinge wie körperliche Nöte und soziale Missstände? Oder geht es ihm doch vor allem um die Erlösung unserer Seelen?
Wie gut, dass die Bibel hier klare Orientierung gibt: Immer wieder zeigt sich Gott als Urheber der ganzen – sichtbaren und unsichtbaren – Schöpfung und als der große Designer und Herr aller Lebensbereiche. Sein großes Ziel: in Christus alles auf der Erde und im Himmel mit sich zu versöhnen (siehe Kolosser 1).
Wir sehen Jesus in diesem Dienst der Versöhnung, wie er in Liebe und Wahrheit sowohl vom Reich Gottes predigt, als auch diese gute Nachricht durch sein Tun bestätigt. Indem er Kranke heilt, Ungerechtigkeit konfrontiert, seine Jünger lehrt und schließlich sein Leben als stellvertretendes Opfer hergibt. Kein Zweifel: Die Weltanschauung eines vom Materiellen getrennten geistlichen Lebens ist schlichtweg unbiblisch. Ein Gott, eine Schöpfung, ein umfassendes Versöhnungswerk, ein Auftrag: ganzes Heil – durch Versöhnung in Christus.
Und wir? Als seine „Botschafter der Versöhnung“ (2. Korinther 5) beauftragt uns Jesus unmissverständlich zum Hingehen in alle Welt, zum Weitersagen der guten Nachricht und zur Anleitung in Jüngerschaft und in tätiger Nachfolge, die alles umfasst, was er gelehrt hat (Matthäus 28). Dazu gehören auch sein großes Gebot der Nächstenliebe und sein herausforderndes Beispiel vom barmherzigen Samariter (Lukas 10), in dem er klipp und klar sagt: „Geht und tut dasselbe!”
Es geht Gott also um viel mehr als eine Anreicherung unserer Verkündigung durch ein paar soziale Elemente, die wie eine Klebefalle dabei helfen, Zuhörer anzuziehen und unseren Dienst gleichzeitig schön ganzheitlich zu machen.
Die zwei Elemente Evangelisation und Sozialarbeit allein machen noch keine Ganzheitlichkeit. Es geht stattdessen um ein biblisches Auftragsverständnis, das auf dem Wesen Gottes selbst basiert und sein Herz für den ganzen Menschen, für die ganze Schöpfung wirklich ernst nimmt. Sozialdiakonisches Handeln ist – genau wie Verkündigung, Einsatz für Gerechtigkeit und Erhalt von Lebensräumen – integraler Bestandteil von Gottes Anliegen des umfassenden Heils und damit sein klares Mandat für unsere Beteiligung an Gottes Vollendung seines Reichs.
Aber funktioniert das denn auch in der Praxis unserer Missionsarbeit? Ja, das tut es, wenn auch immer nur stückweise. Trotz einer wunderbaren Vielfalt an Einsatzfeldern: Es gibt tatsächlich keine Arbeit in unserem weltweiten Engagement als Allianz-Mission, in der nur das Wort (die Ganz heil Proklamation) oder nur die Tat (die Demonstration) der Liebe Gottes im Blick ist.
Auch in Vietnam haben wir staunend die Kraft eines ganzheitlichen Lebenszeugnisses miterlebt:
Durch den opferbereiten, praktischen Einsatz von Gemeinden für ihr Umfeld kommen nicht nur Menschen ins Fragen und zum Glauben, sondern ganze Dörfer verändern sich so stark, dass selbst hartgesottene Sicherheitsbeamte, die den Christen früher viel Leid bereitet haben, jetzt fasziniert nach dem Geheimnis dieser unübersehbaren Transformation fragen.
Christen tun sich über die Denominationsgrenzen zusammen und fragen ihre Stadtbehörden ganz offen, wie sie hier am Ort helfen können. Christliche Drogenarbeit hat in Gottes Kraft zu derartig klaren Erfolgen geführt (Bekehrungen und echtes Freiwerden von Sucht), dass nun sogar hochrangige Mitglieder der Kommunistischen Partei drogenkranke Verwandte in diese Zentren schicken.
Das erleben wir weltweit: Durch das glaubwürdige Zeugnis von Gottes Liebe in Wort und Tat und durch überzeugende Zeichen seiner heilenden Wirklichkeit im Leben von Menschen öffnen sich immer neue Räume für die beste Nachricht der Welt: Gott ist groß. Nur bei Ihm gibt es ganzes Heil.
Jochen Fiebrantz war 18 Jahre als Missionar in Vietnam und ist heute Bereichsleiter für Asien
Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Februar – April 2023) erschienen.