Eine zerbrochene Welt versöhnen

Eine zerbrochene Welt versöhnen

Bei der „moving people conference”, zu der sich im Juli 2023 alle Mitarbeitenden der Allianz-Mission online zusammengeschaltet haben, forderte der amerikanische Pastor und Dozent Dr. Al Tizon heraus, ganzheitliche Mission als Versöhnung zu lernen. Ein Auszug seines Vortrags.

Die komplexe, globalisierte und zerrissene Welt von heute verlangt von der Kirche in der Mission, dass sie sich der Schlüsselbereiche des Lebens im 21. Jahrhundert bewusst wird, sich darin auskennt und das entwickelt, was ich als Versöhnungskompetenz bezeichne.

Ganzheitliche Mission bezieht sich auf einen Missionsansatz, der versucht, die Dienste der Evangelisation und der sozialen Verantwortung wieder zusammenzuführen. Mein Vorschlag für Versöhnung als Mission hängt von der Fähigkeit der Kirche ab, Evangelisation und Gerechtigkeit miteinander zu verbinden.

Kompetenzen in der Versöhnung

Wie können wir also als Missionare, Pastorinnen, Aktivisten und Lehrerinnen Versöhnung in der Welt praktizieren, wenn wir uns im Geist bemühen, den Missionsbefehl zu erfüllen?

Theologische Kompetenz: Den Traum vom Königreich umarmen

Theologie ist wichtig und sie ist für alle da. Theologie zu erforschen und zu schreiben mag nicht jedermanns Sache sein; aber theologisch kompetent genug zu sein, um den Unterschied zwischen wahr und unwahr, authentisch und heuchlerisch zu erkennen, ist jedermanns Sache.

Theologische Kompetenz setzt voraus, dass wir von dieser Vision des Reiches Gottes so sehr gefesselt sind, dass andere Träume ihren Glanz verlieren. Der amerikanische Traum zum Beispiel ist für die Kinder des Königs nicht groß genug.

In dem Maße, in dem die Kirche theologisch kompetenter wird, wenden wir uns von der Anbetung des Mammons und der Nationen ab und beginnen Gott und sein Reich, sein Shalom, anzunehmen.

Interkulturelle Kompetenz: Bejahung der Vielfalt

Das zunehmend multikulturelle Milieu, das unsere Nachbarschaften und Gemeinschaften beschreibt, ist unsere heutige Welt. Theoretisch sind wir also besser als die meisten anderen in der Lage, der Kirche zu helfen, in diesem Bereich kompetenter zu werden, während wir selbst in diesem Bereich weiter wachsen.

Dazu müssen wir alle Kulturen bejahen, auch wenn wir die Veränderung aller Kulturen einschließlich unserer eigenen, anstreben. Darüber hinaus müssen wir die Vermischung der schönen Kulturen untereinander stärker bejahen, im Gegensatz zum Widerstand gegen die kulturelle Vielfalt. Das bedeutet, dass wir den neuen Nachbarn bewusster begegnen und ihnen dienen müssen.

Die Zeiten erfordern diese Art von Versöhnungsabsicht, um der Spaltung unserer Welt entgegenzuwirken. Monokulturelle Kirchen, Konferenzen und andere christliche Versammlungen sollten immer weniger Sinn machen, wenn die Welt immer interkultureller wird.

Interreligiöse Kompetenz: Der Dialog mit anderen Religionen

Wir müssen lernen, mit Andersgläubigen oder Nichtgläubigen einen guten Dialog zu führen. Mit dem Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen kommen zwangsläufig auch verschiedene religiöse Glaubenssysteme zusammen, und wir müssen wissen, wie wir mit ihnen in Dialog treten können. Dialog zu lernen ist etwas anderes als ihre religiösen Überzeugungen zu studieren, um sie zu bekehren.

Für die Kirche wird es in den kommenden Tagen, wenn nicht schon jetzt, äußerst wichtig sein, zu lernen, wie man mit den „religiösen Anderen” in Dialog tritt, wie man ihnen zuhört und von ihnen lernt und wie man Jesus selbstbewusst, aber nicht arrogant, in Wort, Tat und Leben verkündet. Zum interreligiösen Dialog gehören zumindest die Praxis der christlichen Gastfreundschaft, die Fähigkeit, wirklich zuzuhören, unsere eigenen religiösen Überzeugungen demütig, aber selbstbewusst mitzuteilen und eine humanitäre Partnerschaft mit Menschen anderer Religionen.

Generationsübergreifende Kompetenz: Lernen über alle Altersstufen hinweg

Der Dienst der Versöhnung muss sich mit der immerwährenden Kluft zwischen Jung und Alt befassen. Unsere jungen Menschen haben das größte Sammelsurium an Wissen, Überzeugungen, Werten und Lebensstilen vor sich, das frühere Generationen je gekannt haben. Die Kirche muss mehr als je zuvor wissen, wie sie über das Leben, Gott, die Kirche, Sexualität, Beziehungen, Gewalt und Tod denken. Und sie muss wissen, wie sie Jesus in einer Weise weitergeben kann, die sie anspricht, damit sie die nächste Generation nicht völlig an den Strudel der Globalisierung verliert.

Die Kompetenz zwischen den Generationen hängt weitgehend davon ab, dass die Kirche ihre Neigung zum Traditionalismus überwindet, welcher sich durch einen Widerstand gegen Veränderungen auszeichnet. Wenn wir Älteren uns weigern, zumindest offene Gespräche über Anschauungen, Werte und Philosophien zu führen, die von den kirchlichen Konventionen abweichen, entgleiten uns die jungen Generationen.

Die andere Seite dieser Medaille ist, dass junge Menschen ihre Eltern und Großeltern respektieren und ihnen zuhören müssen, denn sie/wir haben viel Weisheit zu vermitteln. Generationenübergreifende Kompetenz hat damit zu tun, dass sowohl die Jungen als auch die Alten voneinander lernen.

Internet-Kompetenz: Kontextualisierung für die neue Welt

In gewisser Weise verbunden mit der letzten Kompetenz, müssen wir auch die Internet-Kompetenz entwickeln. Das World Wide Web ist nicht nur ein weiteres Kommunikationsmittel, sondern ein Hypermedium, das alle bisherigen Medien zusammenfasst, miteinander verbindet und erweitert. Das Internet ist eine ganz eigene Kultur. Während unsere Kinder in dieser Kultur aufgewachsen sind, sind frühere Generationen, einschließlich meiner Generation, Einwanderer. Wir wenden uns an die Jungen, damit sie uns helfen, uns in der neuen Welt zurechtzufinden. Das Internet ist genauso ein Ort wie China oder eine andere geokulturelle Einheit. Und so wie wir als Missionare fragen würden: „Wie geben wir das Evangelium in China weiter?”, wenn wir in China dienen würden, müssen wir fragen: „Wie geben wir das Evangelium im Internet weiter?”. Wenn wir das Internet als eine Kultur verstehen, müssen wir die Grundsätze der missiologischen Kontextualisierung anwenden und so kompetent werden, die neue Kultur mit dem Evangelium zu durchdringen.

Spirituelle Kompetenz: Sich der Senfkornverschwörung anschließen

Schließlich müssen wir eine geistliche Kompetenz entwickeln, die uns befähigt, unserer Mission treu zu bleiben. Und dazu muss die Kirche ihren Senfkorn-Glauben in der Welt ausleben. Damit meine ich, dass die Kirche sich zu machbaren lokalen Taten des Friedens, der Gerechtigkeit, der Gemeinschaft, der Jüngerschaft, der Versöhnung und der Evangelisation verpflichten muss, in dem Glauben, dass diese kleinen, scheinbar unbedeutenden Taten in den Händen Gottes ihren Teil dazu beitragen, das zu reflektieren, was in Jesus Christus kommen wird.

Sich für etwas so Großes wie die Verwandlung der Welt in Christus zu engagieren, erfordert ironischerweise ein Engagement für das Kleine, das Lokale, das weniger Glorreiche. Wie die berühmte Aktivistin und Gründerin der Catholic Worker Dorothy sagte: „Jeder will eine Revolution, aber niemand will den Abwasch machen.” Und während Gott die kleinen Senfkorn-Glaubensakteder Kirche sammelt, die überall auf der Welt geschehen, können wir uns auf die Verheißung stützen, dass das Reich Gottes in seiner Fülle kommen wird.

Dr. Al Tizon ist Hauptpastor der Grace Fellowship Community Church in San Francisco und außerordentlicher Professor für missionale und globale Leiterschaft am North Park Theological Seminary in Chicago, USA.

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Februar – April 2024) erschienen.

Vollständiger Artikel von Al Tizon samt Quellen: allianzmission.de/tizon

Übersetzt aus Ambassadors of Reconciliation, herausgegeben von Geoff Hartt, Michael A. Ortiz und Manuel Böhm (Littleton: William Carey Publishing, 2023). Abdruck mit freundlicher Genehmigung von missionbooks.org. Der Artikel ist ein Auszug von Whole and Reconciled, Al Tizon, 2018. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Baker Academic, Teil der Baker Publishing Group.