Kurzzeitmission – zwischen Missionstourismus und Lebensveränderung

Kurzzeitmission – zwischen Missionstourismus und Lebensveränderung

Das Leben des Filipino John wurde positiv beeinflusst, weil der deutsche Kurzzeitmissionar Freddy mit ihm ohne viele Worte joggen ging. Was es braucht, damit ein Auslandsjahr ein Segen für beide Seiten ist, darüber denkt die Philippinen-Missionarin Wiebke Schmidt-Holzhüter nach.

Alle Jahre wieder begrüßen wir hier auf den Philippinen wie in vielen anderen Ländern junge Leute, die ein GoGlobal Auslandsjahr absolvieren wollen. In den Interviews vor dem Einsatz hören wir in unserem Kontext häufig, dass die Bewerber „ein Jahr für Gott“ machen wollen und dass sie gerne „anderen Menschen helfen wollen“. Das sind große Worte, wenn man überlegt, dass die meisten gerade frisch von der Schule kommen und sich mit einer altersbedingt begrenzten Lebenserfahrung in eine Welt aufmachen, die sie bestenfalls aus dem Geografie-Unterricht und durch YouTube-Videos kennen.

Sich dann tatsächlich im Dschungel aller Fremdartigkeiten wie Sprache und Kultur, Essgewohnheiten, chaotischem Straßenverkehr, bitterer Armut und Naturkatastrophen zurechtzufinden, ist sehr herausfordernd und braucht oft Begleitung, damit weder bei den Shortys (so nennen wir unsere Kurzzeitmissionare) noch bei den Menschen vor Ort Schaden entsteht.

Da stellt sich die Frage, ob solche Kurzzeiteinsätze überhaupt Sinn machen: Dienen sie tatsächlich den Menschen im Einsatzland und dem Bau von Gottes Reich? Oder bedienen sie vor allem die Abenteuerlust junger Leute und sind somit eine Art „Missionstourismus“?

Natürlich gibt es auf diese Fragen keine allgemeingültige Antwort. Zu viele Faktoren in der Gestaltung spielen eine Rolle und selten ist irgendetwas nur schwarz oder weiß.

Aber gerade in den Gestaltungsmöglichkeiten liegt die Chance: Denn wenn sich weltoffene, motivierte junge Leute in gut durchdachten und begleiteten Einsatzmöglichkeiten einbringen, dann birgt so ein Einsatz richtig viel Potenzial – für alle Beteiligten!

Wichtig ist es, von Anfang an die Erwartungen und Motivation zu klären. Das fängt schon bei der Vorstellung von einem „Jahr für Gott“ an. Ich sag es mal etwas lapidar: So sehr sich Gott über unsere Einsatzfreude freut – er braucht unsere Jahre nicht! Dafür ist er, wie sich immer wieder herausstellt, gerne bereit, richtig in die Shortys zu investieren. Und so bleiben die eigene Gottesbeziehung, der Blick auf die Welt und auf Mission, ja, oftmals auch die Zukunftspläne nicht unberührt. Und schon da hat sich der Einsatz nachhaltig lebensverändernd gelohnt!

Lebensverändernd bedeutsam kann so ein Einsatz für die Menschen vor Ort dann sein, wenn den jungen Leuten bewusst ist, dass Hilfe oftmals auf ganz andere Art und Weise gebraucht wird, als sie sich das aus der Ferne vorstellen, und wenn sie bereit sind, ihre Gaben und Persönlichkeiten kultursensibel und wertschätzend einzubringen.

Ich finde da bei Paulus – der ja selbst reichlich Kurzzeiteinsätze gemacht hat – richtig gute Gedanken. Wobei sich das meiste leichter liest als lebt. So will Paulus den „Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche“ (1. Korinther 9,20-22) sein. Das ist kultursensibel und wertschätzend. Im echten Leben will das dann durchbuchstabiert werden. Etwa wenn ich meine ethische Überzeugung, mich vegetarisch zu ernähren, für die Zeit des Einsatzes der Gastkultur unterordne, in der Fleisch im Essen ein Zeichen von Gastfreundschaft und eine Ablehnung von Essen einer Ablehnung der Beziehung gleichkommt.

Nein, Kurzzeiteinsätze sind keine Selbstläufer. Wo sie aber in guten Strukturen und mit sinnvoller Begleitung stattfinden, können sie sehr wertvoll sein.

Oder Paulus Selbstbild, ein Diener aller zu sein (1. Korinther 3,5). Bin ich bereit, Dienste in der zweiten Reihe zu übernehmen, damit die Mitarbeitenden, die keine oder weniger Sprachbarrieren und Kulturstolpersteine haben, die Beziehungen pflegen können, die ich eigentlich gerne hätte? Bin ich bereit, dienend auf die Lebenssituation des anderen einzugehen, anstatt an meinen Vorstellungen von meinem Einsatz festzuhalten? Daraus kann viel Segen fließen.

So hat es mich bewegt, als John – ein inzwischen 22-jähriger Mann aus schwierigen Familienverhältnissen – zum ersten Mal die Anbetungszeit in der Gemeinde geleitet hat. Dass er heute ganze Sache mit Jesus macht, ja, sogar Pastor werden will, daran haben auch einige Shortys Anteil. Als John 13 Jahre alt war, hatte er die Schule geschmissen und von Gemeinde und Jesus wollte er nichts wissen. Voller Wut auf Gott und die Welt ließ er niemanden an sich heran. Niemanden – außer Freddy! Dieser Shorty war bereit, sich morgens in aller Frühe aus dem Bett zu quälen, um mit John joggen zu gehen. Denn darauf hatte John Lust. Sie haben damals keine tiefgreifenden Gespräche über den Glauben geführt. Sie haben überhaupt nicht viel geredet. Aber dass dieser deutsche Freddy sich für ihn interessiert und eingesetzt hat, das hat John nicht kalt gelassen. Seine Mauer der Ablehnung bröckelte. Als sich Jahre später ein weiterer Shorty – Iyo – regelmäßig mit ihm getroffen hat, um gemeinsam Musik zu machen, war das ein weiterer Schritt Richtung tiefgreifender Veränderung auf Johns Lebensweg.

Nein, Kurzzeiteinsätze sind keine Selbstläufer. Wo sie aber in guten Strukturen und mit sinnvoller Begleitung stattfinden, können sie sehr wertvoll sein. Um noch einmal Paulus zu bemühen: Niemand verachte die Einsatzfreude und Offenheit der jungen Leute (1. Timotheus 4,12). Man muss nicht erst alles erlebt und verstanden haben, um Gottes Liebe erlebbar zu machen und mit an seinem Reich zu bauen.

Wiebke Schmidt Holzhüter ist Missionarin in Manila, Philippinen

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Mai – Juli 2024) erschienen.