Gesellschaft verändern

Gesellschaft verändern

Von der Not bis zur NGO

Dr. Thomas Schmidt zeigt, wie aus einer konkreten Not in Vietnam eine selbstständige Nichtregierungsorganisation in einheimischen Händen wurde. Und was er dabei gelernt hat.

Die Not wahrnehmen

Mit unseren Freunden Jochen und Bettina Fiebrantz sind wir als erste Mitarbeiter der Allianz-Mission 1998 nach Vietnam ausgereist. Vietnam war damals eines der ärmsten Länder der Erde und die Bekämpfung von Armut war eines unserer wichtigsten Ziele.

Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt.

Johannes 15, 16

Wir fragten uns: „Wie können wir einen nachhaltigen Beitrag dazu leisten, dass Menschen Jesu Liebe erfahren? Und wie so helfen, dass die Ergebnisse unserer Arbeit bleiben, wenn wir nicht mehr da sind?“ Folgende Prinzipien haben uns geleitet:

  • Die betroffenen Menschen und die lokalen Leiter so früh wie möglich in die Bedarfsanalyse, Planung und Durchführung von Projekten einbeziehen.
  • Nicht nur nach Problemen suchen, sondern auch darauf achten, wo Dinge gut laufen und welche Ressourcen die Leute vor Ort haben.
  • Keine Geschenke verteilen, sondern Menschen würdevolle Arbeit verschaffen.
  • Nicht Dinge für Menschen machen, die sie selbst machen können.

Zwei Beispiele aus unserer Arbeit in Vietnam zeigen, wie wir diese Prinzipien angewandt haben.

Süßwasserkrebse gegen Mangelernährung

Zu Beginn unserer Tätigkeit war Mangelernährung von Kindern unter fünf Jahren ein riesiges Problem in Vietnam. In einigen Gebieten waren bis zu 45% aller Kinder diesen Alters mangelernährt. Was tun? Natürlich hätten wir einfach vollwertige Nahrungsmittel verteilen können, aber so hätten wir nur Abhängigkeiten geschaffen und keine nachhaltige Lösung gebracht. Von einer anderen Hilfsorganisation haben wir einen anderen Ansatz kennengelernt, für uns angepasst und umgesetzt.

Dazu wurden in einem Dorf alle Kinder gewogen und untersucht. Danach suchten wir arme Familien, deren Kinder gesund ernährt waren. Die gab es nämlich. Von diesen Familien lernten wir, was sie tun, damit ihre Kinder normal ernährt sind. So haben wir z.B. herausgefunden, dass sie bei der Arbeit im Reisfeld kleine Süßwasserkrebse aufsammeln und das Fleisch zu Hause in die Suppe geben.

In einem nächsten Schritt haben wir dann Gruppen von Frauen gebildet, die mangelernährte Kinder hatten, und diese Frauen lernten von den armen Familien, wie sie ohne zusätzliche Kosten ihren Speiseplan umstellen konnten. Die neuen Gerichte wurden gemeinsam gekocht und die Kinder in Abständen gewogen. Die Ergebnisse waren großartig: Teilweise konnten wir in einem Jahr die Rate mangelernährter Kinder von 45% auf unter 15% senken. Und das Beste: Dieser Erfolg war nachhaltig, da die Leute auch ohne Unterstützung von uns weitermachen konnten.

Kuh-Darlehen für Familien

Ein weiteres Beispiel ist unsere Kuh-Bank. Statt Geschenken haben wir armen Familien einen Kredit in Form einer Kuh gewährt. Die Familien mussten den Kredit später in Form eines weiblichen Kalbes an die nächste arme Familie zurückzahlen. Danach gingen die Mutterkuh und die weiteren Kälber in den Besitz der Familie über. Dabei haben wir immer zu den Nutznießern gesagt: „Ihr seid keine Bettler, sondern Geschäftspartner! Wir trauen euch zu, dass ihr den Kredit innerhalb von drei Jahren zurückzahlt.“ Dieses Projekt war sehr erfolgreich: Bisher haben wir 3.387 Kühe verliehen und es gibt bereits die sechste Generation von Geschäftspartnern.

An diesen Beispielen sieht man, dass eine sorgfältige Planung und die Berücksichtigung der genannten Prinzipien wichtig sind, um einen langfristigen Erfolg möglich zu machen.

In meiner langjährigen Arbeit ist bei mir eine weitere wichtige Erkenntnis gewachsen: „Nachhaltigkeit liegt letztlich nicht in Projekten, sondern in Menschen“.

Mitarbeiter schulen und Verantwortung übergeben

Wenn es uns als Missionaren nicht gelingt, Menschen und vor allem lokale Christen zu inspirieren und zu befähigen, dann wird unsere Arbeit keine langfristigen Effekte haben. Auch wenn ein Projekt noch so gut geplant ist, wird es immer eine Reihe von unerwarteten Problemen geben. Die gilt es zu lösen, ohne dass die Ergebnisse vom Missionar abhängig sind.

So haben wir ab dem Jahr 2000 eine Gruppe von 10-15 Christen geschult und vernetzt. 2008 konnten wir die Leitung dieses Netzwerkes in einheimische Hände übergeben. Inzwischen ist diese Gruppe der kompetenteste Ansprechpartner unter den Christen in Nord-Vietnam, wenn es um ganzheitliches Engagement der Kirchen geht.

Unser Rückzug: eine NGO in einheimischen Händen

Ähnlich sind wir auch in unserer Hilfsorganisation „Allianz-Mission in Vietnam“ vorgegangen. Um das Jahr 2007 haben wir uns entschlossen, Schritt für Schritt die Leitung der NGO in die Hände einheimischer Christen zu geben. Über Jahre haben wir die Mitarbeiter geschult, viel gebetet und gesunde Strukturen entwickelt. Wir haben externe Berater hinzu genommen und Klausurtage veranstaltet. Im Frühjahr 2014 war es dann soweit: Duc Manh wurde der neue Direktor der Allianz-Mission in Vietnam. Mein Kollege Jochen Fiebrantz und ich haben uns ganz aus der Arbeit zurückgezogen und sind inzwischen beide in Deutschland. Die Arbeit der NGO geht aber weiter – ganz unter einheimischer Leitung – und setzt neue Projektideen um.

Dr. Thomas Schmidt ist Missionssekretär für Ostafrika, Bewerbungen, Personal- und Projektentwicklung

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (November 2018 – Januar 2019) erschienen.