„Nichts, was wir tun“ – Die Choreographie des Geistes erkennen

„Nichts, was wir tun“ – Die Choreographie des Geistes erkennen

Ein Māori mit europäischen Wurzeln beschreibt die globale Entwicklung christlicher Mission: im Interview mit dem Leiter des Missionskomitees der Weltweiten Evangelischen Allianz.

Dr. Matenga, Sie leiten die Missionskommission (MC) der Weltweiten Evangelischen Allianz. Was macht die Missionskommission?

Die MC ist der Missionsarm der Weltweiten Evangelischen Allianz, die etwa 640 Millionen evangelische Christen auf der ganzen Welt und ihre nationalen Gemeindebünde vertritt. Die Missionskommission trägt dazu bei, die Beteiligung der evangelischen Gemeinden an Gottes Mission zu bewerben und zu fördern. Unsere Kernaufgabe sind dabei die Missionsorganisationen und Gemeindebünde. Wir kommen als Missionspraktiker zusammen – von Missiologen über Gemeindegründer und Evangelisten bis hin zu lokalen Missionarinnen und Missionaren – um gemeinsam zu ergründen, was Gott heute in der Welt tut, und um seine globale Mission voranzubringen und zu stärken.

Nachdem Sie 20 Jahre für Missionsorganisationen gearbeitet haben, hat sich Ihr Schwerpunkt von einzelnen Missionswerken auf Netzwerke wie Missions Interlink in Neuseeland und später die WEA verlagert. Warum?

Die einfache Antwort lautet: Gott hat mich gerufen. Ich leitete Pioneers Neuseeland 15 Jahre lang, was mir ein weites Verständnis der globalen christlichen Missionsorganisationen vermittelte. Dort habe ich mit großartigen Leitern aus der ganzen Welt zusammengearbeitet. Gleichzeitig habe ich mich mit den in den 1980ern aufkommenden Missionsbewegungen der 2/3-Welt beschäftigt. Wir erlebten, wie dort immer mehr Leiter heranwuchsen, und ich spürte ein tiefes Bedürfnis nach intensiverer Zusammenarbeit und einem umfassenderen Verständnis von Partnerschaft. Ich erforschte meine eigene Biografie und die Unterschiede zwischen dem globalen Norden und Süden. Denn wenn wir als internationale Leiter eng zusammenarbeiten, tauchen die Fragen nach Macht, Kontrolle und unterschiedlichen Denkweisen immer wieder auf. Ich wünschte mir eine Position, in der ich diese Welten zusammenbringen kann, damit wir das Beste von dem genießen können, wozu Gott uns alle geschaffen hat.

Sie haben familiäre Wurzeln sowohl in der Kultur der neuseeländischen Māori als auch europäische Vorfahren aus England und Preußen. Wie prägt diese multikulturelle Herkunft ihre Arbeit?

Ich bezeichne mich als Hybrid – als eine Verschmelzung kultureller Einflüsse. Und ich denke, es gibt heute einige Arbeiten zur Hybridisierung, die für die zukünftige globale Mission sehr wichtig sein werden. Für mich persönlich war es wie ein Erwachen, meine genetischen Einflüsse zu entdecken, die ich bis in meine 40er Jahre nicht verstanden hatte. Die afrikanischen Führer, mit denen ich zusammenarbeitete, sagten mir, dass ich nicht wie andere Leiter auf dem globalen Norden bin: „Du hast ein weißes Gesicht, aber wir können sehen, dass du ein afrikanisches Herz hast.“ Nachdem ich zehn Jahre lang meine Wurzeln erforscht hatte, entdeckte ich ein Wertesystem in der Māori-Kultur, das vielen indigenen und kollektivistischen Kulturen weltweit gemein ist. Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich herausgearbeitet, dass dieser Wertekanon im globalen Süden stärker ausgeprägt ist als im globalen Norden.

Im Alter von 16 Jahren lernten Sie Jesus durch die Eltern eines Freundes kennen. Warum Jesus?

Ich habe meinen Vater zum ersten Mal getroffen, als ich schon über 40 Jahre alt war. So bin ich nicht bei meinen beiden leiblichen Eltern aufgewachsen. Es war kein glückliches, sondern ärmliches Zuhause, in dem wir von der Hand in den Mund lebten. Ich hatte stets das Gefühl, dass es mehr geben musste – mehr außerhalb dessen, was wir kannten. In der Schule lernte ich eine attraktive junge Frau kennen, mit der ich mich verabredete – sozusagen Evangelisation per Rendezvous. Sie war Christ und als ich ihre Eltern kennen lernte, nahmen sie mich in ihrer Familie auf, erklärten mir das Evangelium und fragten mich schließlich: „Wenn du heute sterben würdest, wohin würdest du gehen?“ Diese Frage forderte mich heraus und ich dachte darüber nach. Als ich das nächste Mal auf dem Motorrad zu ihrem Haus fuhr, sang ich aus vollem Halse den Chart-Hit: „I want to know what love is. I want you to show me.” (deutsch: „Ich will wissen, was Liebe ist. Ich will, dass du es mir zeigst.“) Da merkte ich, dass ich gerade betete. Es war ein von Herzen kommendes Gebet, und dieses „Du“ in meinen Gedanken war ganz klar Jesus. Also ging ich mit der Familie in die Kirche und seitdem mit dem Herrn. Ich wollte wissen, was Liebe ist. Ich wollte dazugehören. Ich wollte Teil von etwas Bedeutungsvollem sein.

Ihre Lebensregel lautet: „Nicht das, was wir tun, sondern das, wozu wir andere befähigen, wird unser größter Beitrag zu Gottes Mission sein.“ Wie kam es dazu?

Während unserer Kandidatenzeit bei WEC International besuchte uns ein anerkannter Prophet. Wie auch immer man theologisch dazu steht – er sagte uns diesen Satz zu, was ich anfangs als sehr enttäuschend empfand. Wir wollten die Missionsarbeit nicht andere tun lassen, sondern selbst die Welt erobern. Aber wir kapitulierten: „Okay, Gott, wenn es das ist, was du willst, dann sind wir bereit, alles zu tun, was du von uns erwartest – anderen Menschen dabei zu helfen, sich in deiner Mission einzusetzen.“ So haben wir nie langfristig auf dem Missionsfeld gedient. Wir fühlten, dass Gott uns in die Rolle des Entsendens, Förderns, Ermächtigens, Befähigens und Mobilisierens beruft. Nachdem ich fast 30 Jahre lang dem Herrn gefolgt bin und vollzeitlich Gott und den Missionsorganisationen gedient habe, ist meine größte Freude zu sehen, wie andere darin aufblühen, wozu Gott sie berufen hat.

Sie wurden in dem Jahr Leiter des MC, in dem die Corona-Pandemie „die Art und Weise, wie wir in den vergangenen 220+ Jahren Mission betrieben haben, irreversibel beeinflussen wird“, wie Sie kürzlich schrieben. Was hat sich geändert und was muss sich ändern?

Es ist nicht so, dass sich sofort etwas geändert hat, sondern dass sich ein Wandel beschleunigt. Wir sind an einem Knotenpunkt angelangt. Der Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman sagte, dass nur eine Krise echte Veränderungen hervorbringt. Seit der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 habe ich einen Wandel der Mission wahrgenommen. 2016 war ein Wendepunkt darin, wie christliche Mission auf Spendenbasis durchgeführt wird: als das International Mission Board – die älteste Missionsorganisation der USA – viele Menschen vom Feld zog und grundlegend ihre Arbeitsweise überdenken musste. Und vier Jahre später haben wir die globale Pandemie.

Wir beginnen, den Wandel zu sehen: Die Zunahme der Missionsaktivitäten aus dem globalen Süden und die Pandemie halten uns plötzlich davon ab, neue Leute aufs Missionsfeld zu senden. Die meisten Missionsleiter, mit denen ich spreche, stellen sich immer noch eine Zukunft vor, in der Menschen wie gewohnt entsandt werden können – nur vielleicht teurer, schwieriger und riskanter. Aber jetzt gilt es, zu fragen: „Was, wenn wir keine Missionare mehr schicken könnten? Wie werden die Nationen erreicht?“ Dabei gibt es eine große Kraft jener Christen, die den verbliebenen unerreichten Menschen nahestehen, besonders in verarmten Nationen. Ich sehe eine Gelegenheit, dass Covid-19 uns beim Übergang in eine Zukunft der einheimischen Mission helfen kann.

Ich glaube, wir im globalen Norden haben Angst und mangelndes Vertrauen in das Evangelium und den Heiligen Geist, durch seine Botschaft neue Kirchen entstehen zu sehen. In die Zukunft zu gehen im Bewusstsein für das, was ich transformative Zusammenarbeit nenne – nicht vertragliche Partnerschaft, sondern eine echte, grenzüberschreitende und bundeshafte Beziehung. Es gibt ein Sprichwort der Māori: „Du bringst deinen Essenskorb, ich bringe meinen Essenskorb, und gemeinsam werden alle satt.“ Das ist der Sinn der Zusammenarbeit: Wir alle bringen das Beste von dem, was wir haben, als eine Gabe an Gott, und sehen, was Gott in den Ländern tut, die die Liebe Christi so dringend brauchen.

In Ihrem Blog beschrieben Sie Ihre aktuelle Aufgabe in der Corona-Zeit damit, dass Sie aus der Vogelperspektive versuchen zu sehen, „was in der Welt vor sich geht, und die Choreografie des Geistes darin zu erkennen.“ Welche Konturen davon haben Sie bisher entdeckt?

Demut. Corona schockierte viele Führungskräfte, als sie feststellten, dass all ihre klugen Pläne, Strategien und Ideen, Gottes Arbeit für Gott zu tun, von einem mikroskopisch kleinen Virus ausgelöscht wurden. Das hat uns alle demütig gemacht und geholfen einzugestehen: „Okay, es geht nicht um uns.“ Gott arbeitet immer noch an seiner Mission, und ohne uns könnte er in mancher Hinsicht effektiver sein. Wenn wir uns selbst eine Zeitlang aus dem Spielfeld herausnehmen und andere aufstehen und frei werden voranzugehen, dann werden Ressourcen eher lokal gefunden werden.

Ich glaube, die Krise hat die Souveränität Gottes wieder an die Spitze all dessen gestellt, was wir tun. Und war für viele ein Weckruf. Sie zeigt, was überdacht werden muss. Ich höre Geschichten von phänomenaler Arbeit an der Basis: von positiven Reaktionen auf aktive Kirchen, von innovativen Lösungen evangelischer Allianzen, von Pastoren, die gehungert haben, weil sie keine Angebote für ihren Lebensunterhalt erhalten haben – eine Geschichte nach der anderen über göttliche Versorgung. Wir haben die Möglichkeit zurückzutreten und darauf zu hören, was Gott tut, und dabei nicht so sehr von unserer eigenen Wichtigkeit erfüllt zu sein.

Welchen einen Satz geben Sie unseren Lesern mit?

Schlicht Kolosser 3,23: „Alles, was ihr tut, tut von Herzen, als etwas, das ihr für den Herrn tut und nicht für Menschen.“ Vor allem jüngeren Menschen sage ich gerne: „Zwei Worte werden Euch auf den wildesten Ritt Eures Lebens mitnehmen. Und diese zwei Worte sind: ‚Ja, Herr!‘“

Das Gespräch führte Simon Diercks, Leiter Communication & Media

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (November 2020 – Januar 2021) erschienen.

Weitere Informationen: www.weamc.global

Blog von Dr. Jay Matenga: www.jaymatenga.com

Das ausführliche Interview (englisch): www.allianzmission.de/podcast