Bei Gott ist alles möglich

Bei Gott ist alles möglich

100 Millionen Christen weltweit mobilisieren, die an einem einzigen Tag einer Milliarde Menschen von Jesus erzählen: Das war Werner Nachtigals Plan für 2020. Was Corona verändert hat und warum große Zahlen nicht das wichtigste sind.

Werner, Du bist Evangelist, Missionsleiter und Initiator des Global Outreach Day. Was ist der Global Outreach Day?

Es gibt 2,5 Milliarden Menschen, die in irgendeiner Form an Jesus glauben. Stell dir mal vor, die würden alle am gleichen Tag einer anderen Person von Jesus erzählen. Viele Christen tun sich schwer, ihren Glauben zu bezeugen. Und wir sagen: An diesem Tag kann jeder Einzelne einen ganz kleinen Schritt gehen. Und gemeinsam erreichen wir ganz, ganz viele. Es ist wie ein Katalysator für die globale Gemeinde. Das kann z. B. eine Krankenschwester sein, die im Krankenhaus arbeitet und einen Patienten, Arbeitskollegen oder Arzt anspricht. Ein Geschäftsmann, der einen anderen Geschäftsmann erreicht. Das Hauptding ist an dem Tag: Ich erzähle jemandem von Jesus.

Der Global Outreach Day in Zahlen: acht Jahre, 25 Millionen Teilnehmer und zehn Millionen Glaubensentscheidungen weltweit. Wie teilen sich diese Zahlen auf?

Die Zahlen für 2020 sind nochmal dramatisch gestiegen. Viel mehr Entscheidungen, viel mehr Christen, die dabei waren. Aber nicht durch ein Großevent wie mit Billy Graham, sondern manchmal 10 hier, 15 da. Die breite Masse macht es eben aus.

Wir haben große Schwerpunkte: In Afrika ist es in vielen Ecken zu einer recht großen Bewegung geworden. Unser Leiter von der Elfenbeinküste sagte mir: „Wir waren mit tausenden Christen draußen.“ Hier ein Bericht von 42.165 Bekehrungen. Allein eine Gemeinde schreibt, sie seien rausgegangen mit ihren knapp über 50 Leuten, kamen zurück und haben 30 neue mitgebracht.

Oder in der Dominikanischen Republik: Dort sind von den 7.000 Gemeinden 5.000 aktiv am Global Outreach Day und dann kriegen wir die für mich faszinierenden Geschichten, die ich liebe ohne Ende. Eine Frau war unterwegs zu einer Brücke, wollte sich das Leben nehmen und jemand hat ihr von Jesus erzählt. Anstatt sich umzubringen, ist sie heute in einer Gemeinde und folgt Jesus nach. Ich glaube: Gott will jeden einzelnen Christen gebrauchen.

In Indien haben wir viele starke Partner. Einer berichtete von 13.000 Taufen im Norden Indiens, wo du Verfolgung hast. In Nigeria ist eine Gemeinde mit einer Halle für bis zu einer Million Leute dabei. Es ist so stark, weil viele starke Partner dabei sind.

Aber ich zähle nicht Zahlen, sondern ich liebe Menschen. In Südafrika wird eine Bordellbesitzerin angesprochen, die angetrunken draußen saß. Ihr hat man von Jesus erzählt. Sie und drei Prostituierte kamen zum Glauben. Heute ist das Bordell geschlossen und die Frau ist in einer Gemeinde und folgt Jesus nach. Ich liebe die Millionen und freue mich, wenn Gott mächtig wirkt. Aber es geht um die einzelnen Menschen, die hierdurch zum Glauben kommen.

All das hat seinen Anfang in Pakistan. Was ist passiert?

Gott hat mich vorbereitet auf das Ganze. Ich bin Evangelist und hatte immer gedacht, irgendwann bin ich so ein kleiner Billy Graham und halte Großveranstaltungen mit ungeahnter Reichweite. Aber Gott veränderte meinen Dienst: Es war im pakistanischen Faisalabad vor einem Pastorentreffen – und auf einmal sah ich, wie eine Welle um die Welt geht. Gott gab mir diese Vision in Bruchteilen von Sekunden. Dann hatte ich eine intensive Gebetszeit für zwei Tage. Zunächst versuchte ich verge blich, Gott zu überzeugen, dass ich der Falsche bin. Aber Gott bestätigte das, indem ich einen Pastor einer Riesengemeinde in Nigeria treffen konnte, der sagte: „Das ist vom Herrn. Wir sind dabei.“ Denominationsleiter von riesigen Diensten sagten: „Wir sind dabei.“

Vor Kurzem haben sich Leiter der Weltweiten evangelischen Allianz (WEA) getroffen und für die nächsten zehn Jahre zugesagt: „Wir sind dabei, um die Welt zu erreichen.“ Und ich stehe hier und sage: „Herr, ich weiß nicht, wie es geht.“ Manchmal sage ich aus Spaß: „Ich muss morgens nur irgendwie aus dem Bett kommen und einen Kaffee kriegen, dann übernimmt der Herr.“

Ein bewegender Augenblick war für mich der 21. Februar 2018 – der Todestag von Billy Graham, der immer gesagt hat: „Wir müssen den schlafenden Riesen wecken.“ An dem Tag saß ich mit den Denominationsleitern einer der größten Denominationen zusammen, und sie alle haben sich damals committed für „GO2020“. Gott hat so viel getan, was man menschlich nicht machen kann.

In Eurer Vision heißt es: „93 Prozent aller Christen teilen das Evangelium nie mit anderen.“ Warum ist das so?

Meine persönliche Geschichte: Ich komme aus Hannover, war ein sehr aktiver Typ und ständig auf Partys, Diskotheken und Rockkonzerten unterwegs. Ich kannte keine Christen. Für mich war Kirche abgrundtief langweilig. Auf der anderen Seite hatte ich einen gläubigen Großvater, der immer für uns gebetet hat. Ich habe als Teenie viele Erfahrungen gemacht mit Gott selbst – ich kannte bloß keine Christen. Wenn ich heute überlege: Wie viele Menschen in meinem Leben haben mich angesprochen und mir von Jesus erzählt? Ich glaube: null.

Warum schweigen Christen, wenn sie wissen, dass Jesus, Gottes Sohn, aus Liebe für mich am Kreuz gestorben ist, dass er auferstanden ist und lebt? Ich wüsste keine Botschaft, die so gewaltig ist.

Manche wurden nie gelehrt, es zu tun. Ich habe langjährige Christen getroffen, die haben gesagt: „Ich habe nie gehört, wie man andere erreichen kann.“ Wir haben ein Training entwickelt, wie man Menschen anspricht, wie man ihnen authentisch das Evangelium erklärt.

Manche sind bequem. Wir sind in unserer schönen Gemeinde und uns geht‘s gut, wir sind gesegnet und haben den Blick für Verlorene aus den Augen verloren. Vor zwei Monaten habe ich meinen Vater beerdigt, der erst mit 90 Jahren Glauben gekommen ist, und meine demente Mutter weint am Grab und sagt: „Papa ist jetzt im Himmel.“ Meine einfache, demente Mutter hätte jeden hochintellektuellen Atheisten in ihre Handtasche gepackt. Was sagt denn der vorm Grab? Es geht um die Ewigkeit. Was hält uns ab, diese gewaltige Botschaft zu verkündigen?

Wie hast Du Jesus selbst das erste Mal erlebt?

Ich habe in Hannover Zivildienst gemacht und lernte einen Christen kennen, der wie ich Motorrad fuhr und wir haben uns gut verstanden. Er hat mir von Gott erzählt und mich zu einer Evangelisation eingeladen. Dort waren viele junge Leute in der Kirche. Ich dachte „Was ist denn hier los?“ Ich wollte den Pastor beglückwünschen und der sagte: „Werner, kennst du Jesus?“ Und er hat mir in wenigen Sätzen das Evangelium erklärt. Kein langes Gespräch. Dann betete er mit mir und in dem Augenblick, wo ich betete, war ich überwältigt, dass dieser Gott mich liebt. Ich war fasziniert von Jesus, und in all meiner Schwäche habe ich angefangen, Leuten von Jesus zu erzählen. Ich habe Gefühlsschwankungen wie jeder andere auch, aber ich habe es mir zum Lebensstil gemacht, jede Woche jemanden anzusprechen.

Du wurdest später Missionar. Wie war der Weg dahin, dass Du heute weltweit als Missionsleiter unterwegs bist?

In Hannover war ich in einer großen Gemeinde und ein Team von „Jugend mit einer Mission“ (YWAM) war zu Gast und einer aus der Gruppe hat für mich gebetet und sagte: „Werner, ich sehe, wie du in Fußballstadien das Evangelium verkündigst.“ Und das, wo ich schon Angst hatte, vor 100 Leuten meine Geschichte zu erzählen. Aber wenn Gott was sagt, gehe ich Schritte. Dann habe ich eine Bibelschule gemacht und hier in Berlin angefangen. 1990 – die Mauer fiel. Wir haben das Evangelium verkündigt. In der DDR vor der Wiedervereinigung waren wir unterwegs, haben das Evangelium verkündigt. In der Tschechei haben sich so viele Menschen für Jesus entschieden.

Ich kam oft zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. Was man nicht machen kann. Dann habe ich Fernsehprogramme gemacht, bin rumgereist, hatte kleine Evangelisationen. Später größere Veranstaltungen, zunächst in Afrika, dann in vielen Teilen der Welt. In Deutschland beim Kirchentag, beim Jesus-Tag, dann Fernseh-Talkshows für säkulares Fernsehen. Ich mag Techno-Musik und wir haben Raves in Kirchen organisiert. Egal was wir machen: Ich will Menschen für Jesus gewinnen.

Vier Säulen gehören zum Global Outreach Day – Welche?

Erstens: Gebet. Mit großen Gebetsnetzwerken rufen wir immer im Mai massiv auf zu beten. Nummer zwei ist das Training. Wir zeigen Christen ganz einfach, wie sie im Alltag Menschen ansprechen und ihre persönliche Geschichte erzählen können. Dann natürlich Aktion und Evangelisation: Es ist unser Hauptziel, dass jeder Gläubige ein Zeuge für Jesus ist. Und zuletzt geht es nicht um riesige Zahlen und am Ende bleibt nichts – was ich von Evangelisationen kenne, auch von meinen. Ich freue mich, wenn ich sehe: Da hat sich jemand für Jesus entschieden, heute folgt er Jesus nach, ist in einer Gemeinde.

Corona hat dieses Jahr radikal viel verändert. Für Evangelisation global: große Krise oder große Chance?

Für mich persönlich war es die größte Krise meines Lebens. Ich habe zwei Jahre an GO2020 gearbeitet. Ich hätte in sechs Wochen auf vielen Veranstaltungen mit über fünf Millionen Menschen sprechen sollen. So vieles war vorbereitet in 500 Städten. Auch eine riesige Aktion in Afrika mit 40 Stadien. Und dann kam Corona. Und alles war weg. Ich habe noch nie so viel gebetet in meinem Leben wie die letzten Monate. Am Karfreitag habe ich gebetet: „Herr, es liegt alles auf dem Altar, alles stirbt, mein ganzer Plan stirbt.“ Und dann hat der Herr gewirkt.

Wir haben erlebt, wie viele Christen Mut gefasst und in dieser schweren Zeit Menschen von Jesus erzählt haben. In Minneapolis sind nach dem Tod von George Floyd 15.000 Christen – Schwarze und Weiße – am Global Outreach Day niedergekniet und haben Buße getan. Die Wochen danach: jeden Tag Bekehrungen und Taufen.

Ich würde sagen, ich habe in sechs Monaten mehr erreicht als fast mein ganzes Leben. Wir haben in einem Call mit einigen der einflussreichsten Leiter dieser Welt gesagt: „Was ist, wenn wir zusammenstehen, damit jeder in den nächsten zehn Jahren das Evangelium hört?“ Und da war auf einmal eine Einheit: Der Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz sagte: „Covid hat zwei Sachen gebracht: Demut und Zusammenarbeit.“ Was Gott in der Krise gemacht hat, ist für mich außergewöhnlich.

Welchen einen Satz gibst Du unseren Lesern mit?

Gott kann jeden, also auch dich gebrauchen, um andere Menschen mit dem Evangelium zu erreichen – ob du schüchtern, ganz schüchtern oder vollkommen introvertiert bist, keine Ausrede: jeden.

Das Interview führte Simon Diercks, Referent für Öffentlichkeitsarbeit

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Feb-Mai 2021) erschienen.

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