Evangelisation durch Seelsorge – Eine ungewöhnliche Chance

Evangelisation durch Seelsorge – Eine ungewöhnliche Chance

Evangelisation durch Zeugnisgeben, durch Verkündigung, durch Beziehungen – wohlbekanntes Terrain! Aber Seelsorge? Wie das? Pastor Christof Lenzen fordert zum Nachdenken heraus.

Zuerst: Seelsorge dient nicht der Evangelisation, sondern dem oder der Ratsuchenden. Sie darf nicht verzweckt werden. Aber die Seelsorge führt in meiner Begleitung – als Pastor einer Freien evangelischen Gemeinde in Deutschland – bei Nichtchristen nicht selten zum ersten Mal in die Gegenwart Gottes. Dabei ist zuerst hilfreich, dass der oder die Ratsuchende ja mit einem fragenden und offenen Herzen kommt. Sonst wäre die Person nicht da.

Es wird irgendeine Form von Krise, Verlust, innerer Reibung schmerzhaft erfahren. Daraus entsteht eine Bedürftigkeit, eine Verletzlichkeit und Offenheit für neue Wege. Diese Grundvoraussetzung ist etwas Kostbares in der Seelsorge und findet sich längst nicht immer im sonstigen christlichen Kontext. Was für ein Geschenk! Erlebt ein solches offenes Herz Jesus in der Seelsorge, schaltet das auf dem sonst oft so mühsamen und langsamen Weg zum Glauben den Turbo ein.

Dazu kommt, dass gute Seelsorge und Evangelisation viele gemeinsame Qualitäten teilen und sich somit ähnlicher sind, als man denkt:

  1. Gute Seelsorge und Evangelisation meinen den ganzen Menschen. Körper, Seele und Geist sind im Blick. Der Mensch wird ganzheitlich wahrgenommen.
  2. Gute Seelsorge und Evangelisation hören zu und nehmen die Geschichte des Menschen ernst. Dabei geht es nicht darum, zu hören, um zu antworten. Sondern zuzuhören. Also vertikal (Heiliger Geist) und horizontal (Gegenüber) wahrzunehmen.
  3. Gute Seelsorge und Evangelisation nehmen den Menschen an, wie er ist, nicht wie er sein sollte. Gott arbeitet immer mit dem, was ist. Wer bei sich ankommt, erfährt Heilung und eben auch Jesus hautnah.
  4. Gute Seelsorge und Evangelisation sind prozess- und beziehungsorientiert. Es geht um heilsame, grenzwahrende Bindung, Nähe und Verletzlichkeit. Auch als seelsorgerischer Begleiter möchte ich kein Experte sein, der über dem oder der Ratsuchenden steht, sondern mich geschwisterlich mitteilen und mich offenbaren mit meinen Heilungsprozessen und -kämpfen.
  5. Gute Seelsorge und Evangelisation führen hinein in die Begegnung mit Jesus.
  6. Gute Seelsorge und Evangelisation sind fachlich kompetent und geistlich tief gegründet. Seelsorge braucht eine solide psychologische Grundlage und muss ihre Grenzen kennen – und sie braucht ein geschultes Ohr gegenüber den Impulsen Gottes.

Egal ob ich einen Christen oder einen „Nochnichtchristen“ vor mir habe – was kann ein Weg sein, das Gegenüber in die erfahrbare Gegenwart Jesu zu führen? Da braucht es Feingefühl. Was kann der andere schon annehmen? Ich will ja primär dem Gegenüber in Seelsorge dienen. Sanfte Formen der Annäherung an die Gottesbegegnung sind das Gebet für den Anderen, dann das Segnen und das Segnen mit Handauflegung. Schon hierbei können Ratsuchende bewegende Erfahrungen machen. Dabei ist es wichtig, als Begleiter im stillen Gebet zu lauschen, was Gott dem Gegenüber zusprechen möchte.

Die nächste Stufe wäre, den ratsuchenden Menschen auf einer bildhaften Ebene in die Begegnung mit Jesus zu führen. Imaginationsübungen sind ein wichtiger Bestandteil der Seelsorge – oft geschehen in diesen Übungen wunderschöne und berührende Begegnungen, die manchmal auch spontan zur Hingabe an Jesus führen. Dieses Thema kann hier nicht weiter vertieft werden – bitte nehmen Sie bei weitergehenden Fragen gerne Kontakt auf.

Fazit: Seelsorge muss nicht, kann aber ein sehr ganzheitlicher und erfahrungsorientierter Weg sein, Jesus kennen zu lernen. Das Großartige ist dabei, dass dieser Weg nicht von einem Kontext oder einer Kultur abhängig ist. Die einzige Voraussetzung ist, dass ich als Begleiter bereit bin, mich auf einen Menschen und seine Geschichte einzulassen.

Kulturübergreifend ist diese individuell. Ich erlebe in meiner Gemeinde in Gera Menschen (vor allem) aus Ost und (vereinzelt) aus West und natürlich sind diese von ihrer Prägung verschieden und die Unterschiede werden im Kontext der Allianz-Mission noch extremer sein – aber die Vorgehensweise ändert sich nicht. Zuhören, wahrnehmen, spüren, beten, sich einlassen. Dass nach dem Hören der Geschichte des Ratsuchenden manchmal auch kulturell sensibel hingeschaut werden muss, um etwas besser zu verstehen – das ist klar. Ich habe gerade in den ersten Jahren immer wieder Fragen zum Leben in der ehemaligen DDR gestellt, um zu verstehen, was die Menschen geprägt hat. Aber ich muss dieses Paket an Wissen nicht mitbringen und komplett geöffnet haben, um mich auf einen Menschen einlassen zu können! Ich darf es vielmehr Stück für Stück entdecken, mit jedem Menschen mehr, dem ich begegne, den ich begleite.

Egal, wo Sie diesen Weg gehen wollen mit anvertrauten und ihnen vertrauenden Menschen, Sie beginnen immer beim Gegenüber und dürfen mit ihm Neues entdecken. Was für ein Geschenk! Bei diesem Weg habe ich mehrfach schon Geburtshelfer für ein Leben mit Jesus sein dürfen – auch für den Seelsorger eine tief bewegende Erfahrung.

Christof Lenzen ist Pastor der Freien evangelischen Gemeinde (FeG) Gera und Mitarbeiter des Praxisinstituts Evangelisation im Bund FeG in Deutschland

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Feb-Mai 2021) erschienen.

Blog von Christof Lenzen: wegbegleiter.wordpress.com

Christof Lenzen im Gespräch in unserem Podcast „Weltbeweger“