Loslassen lernen

Loslassen lernen

Wie übergibt man eine vietnamesische NGO (Nichtregierungsorganisation) in einheimische Hände? Dr. Jochen Fiebrantz über Vorbehalte, Überzeugungen und warum es sich lohnt.

Oft gab es Anerkennung für das Ziel, unsere AM-NGO in Vietnam schrittweise in einheimische Hände zu übergeben. In uns selbst aber regten sich Vorbehalte: „Wenn wir unsere mühsam erarbeitete Leiterrolle jetzt loslassen, was bleibt denn dann für uns?” Gar nicht so einfach, dem coolen Motto „Share the stage!” (deutsch: Teile die Bühne!) wirklich selbst zu folgen und schließlich sogar ganz von der Bühne abzutreten … Aber so wichtig! Im Rückblick sind wir extrem dankbar, dass bei uns gelingen durfte, was sonst oft scheitert: eine Arbeit nachhaltig an Einheimische zu übergeben. Was hat dabei geholfen?

Der wichtigste Faktor war wohl die feste Überzeugung: „Da wollen wir hin! Statt Abhängigkeiten zu schaffen, wollen wir Menschen in der Entfaltung ihres gottgegebenen Potentials fördern!”

Das begann schon mit unserer ersten Bewerberin: Frau Mai. Einzige Fachqualifikation: leidliches Englisch. Projekterfahrung? Fehlanzeige. Aber: viel Lernbereitschaft! Damit kann man arbeiten, dachten wir, und stellten sie ein. Nach und nach entstand ein Team von jungen vietnamesischen Christen, die eins verband: ein Herz für die Armen. Alles andere musste von der Pike auf gelernt werden: Wie managt man Entwicklungsprojekte? Und was hat Hilfe für Notleidende eigentlich mit der Bibel zu tun? Wir haben viel investiert: Schulungen, Teambuilding, Bibelstudium, Coaching, Vernetzung mit Gleichgesinnten, Erfolge feiern, aus Fehlern lernen … Und immer wieder: Vertrauen wagen.

Natürlich fragten wir uns ab und zu: Lohnt sich der ganze Aufwand wirklich? Aber heute blicken wir staunend auf das, was Gott draus gemacht hat. Wir sehen einen einheimischen Leiter der AM-NGO, neue Projektinitiativen und ein Netzwerk von Gemeindetrainern. Investieren in Menschen? Das lohnt sich!

Dr. Jochen Fiebrantz ist Bereichsleiter für Asien

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (August – Oktober 2022) erschienen.