„Verglichen mit dem Anfang seines Lebens ist es heute wie ein Wunder.“ So sagt Bikolimana Filemon Nyambele. Er ist mit 23 Jahren derzeit der jüngste Student am Theologischen Seminar Nanjoka. Er erzählt aus seinem Leben:
„In meiner Familie bin ich der Erstgeborene, hatte aber nicht das Glück, bei meinen Eltern aufzuwachsen. Als ich zwei oder drei Jahre alt war, verließ uns mein Vater. Um versorgt zu sein, hat meine Mutter schnell wieder geheiratet und nahm meinen kleinen Bruder mit, als sie auszog. Mich ließ sie bei meiner Großmutter zurück. Die ist gehbehindert und sehr arm.
Schon mit fünf oder sechs Jahren begann ich, Lebensmittel zu stehlen, die ich dann meiner Großmutter brachte. Ich schloss mich einer Gruppe von Jugendlichen an. Gemeinsam lebten wir auf der Straße, stahlen und konsumierten Rauschgift. Zu dieser Zeit kannte ich Gott nicht.
Und dann erinnere ich mich an einen Tag, den ich nie vergessen werde: Ich war wieder unterwegs, um Tomaten auf einem Feld zu stehlen, damit meine Großmutter und ich zu essen hatten. An dem Tag entkam ich nur ganz knapp dem Tod. Ich hasste mein Leben und sehnte mich danach, es irgendwie zu ändern – auch wenn es den Tod bedeuten sollte. Mein größter Wunsch war es, lesen zu lernen, in die Schule zu gehen. Doch meine Großmutter konnte das Schulgeld nicht aufbringen.
Neue Hoffnung
Veränderung kam in mein Leben, als mein Onkel und seine Frau mich in ihre Familie aufnahmen. Meine Tante war sehr streng. Sie lebten in einem kleinen, abgelegenen Dorf, in dem es keine medizinische Versorgung gab. Allerdings besuchten sie regelmäßig den Gottesdienst und nahmen mich mit. Zum ersten Mal hörte ich von Jesus Christus. Das gefiel mir sehr und ich wollte gerne mein Leben mit ihm führen.
Außerdem fing ich an, die Grundschule zu besuchen. Das Lernen fiel mir leicht und bald war ich besser als meine Cousins. Das gefiel meiner Tante überhaupt nicht und sie ließ mich hart arbeiten. Ich stand früh auf, um die Kühe zu versorgen und den Hof zu fegen. Meine Tante gab mir noch viele zusätzliche Aufgaben, z. B. musste ich mit ihr aufs Feld gehen. An diesen Tagen konnte ich nicht zur Schule. Dann traf ich meine Klassenkameraden am Abend und bat sie, mich zu unterrichten. So schaffte ich es schließlich in die Sekundarschule.
Aus irgendeinem Grund, den ich bis heute nicht verstehe, wollte mich meine Tante nicht mehr bei sich wohnen haben. Darum überzeugte sie meinen Onkel, mich zu meiner Großmutter zurückzuschicken. Von dort hatte ich täglich vier Stunden Schulweg zur Sekundarschule. Zwischendurch gab es immer wieder Tage und Wochen, an denen ich nicht zum Unterricht konnte, weil ich Geld für Essen und Unterkunft (zeitweise wohnte ich in der Nähe der Schule) verdienen musste. Aber Gott gab mir die Kraft, meinen Abschluss zu machen.
Danach riet mir ein Freund, in eine andere Gegend, nach Morogoro, zu ziehen. Dort sollte ich mir klar werden, welche Ausbildung ich beginnen könnte, und eventuell Leute finden, die mich finanziell unterstützen. In Morogoro fand ich eine Kirche und arbeitete mit. Dort kam mir auch zum ersten Mal der Gedanke, eine Bibelschule zu besuchen. Schließlich studierte ich zwei Jahre in Dodoma und erwarb ein Diplom in „Christian Leadership“. Danach ging ich wieder zurück nach Morogoro und konnte das Erlernte in unserer kleinen Gemeinde anwenden. Ich traf einen der Dozenten von der Bibelschule hier im Ort. Er gab mir den Rat, ans Chuo cha Theolojia Nanjoka zu kommen. Auch ein Sponsor fand sich. Und so begann ich im Februar 2022 mein Studium. Ich staune, wie Gott das gemacht hat, und bin gespannt, wo mich mein Weg hinführt, vertraue aber darauf, dass Gott es richtig macht!“
Zukunftspläne
Biko geht nun einen Schritt nach dem anderen und hat auch wieder intensiveren Kontakt zu seiner Mutter gefunden. Inzwischen hat sie neun Kinder geboren und wurde zu allem Überfluss von ihrem Mann wieder verlassen. Sie schlägt sich mit ihren Kindern in ziemlicher Armut in Kigoma durch. Bikolimana denkt darüber nach, wie er in seiner Verwandtschaft auch zur Hoffnungsgeschichte werden kann. Kann er irgendwie helfen, dass seine (Halb-)Geschwister auch eine ordentliche Schulausbildung bekommen können?
Die Aussicht, hauptberuflich Pastor zu sein, passt nicht ganz zu seinen Hoffnungen. Mit einem Pastorengehalt von 25 bis 50 Euro im Monat kommt man auch in Tansania nicht mehr weit. Er hofft auf einen weiteren Schritt in seiner Geschichte: nach der theologischen Ausbildung noch eine Ausbildung als Hilfsarzt zu machen. Das Lernen fällt ihm leicht. Und Gemeindearbeit würde er sowieso machen. Aber das ist noch in weiter Ferne.
Derweil arbeitet er bei verschiedenen Leuten in seiner Freizeit, um sein Leben zu finanzieren und anderen schon jetzt ein wenig Hoffnung weiterzugeben.
Sylvia und Thomas Maurer sind Missionare in Tunduru, Tansania
Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (November 2022 – Januar 2023) erschienen.