Ein kochendes Zeugnis

Ein kochendes Zeugnis

Steffi und Daniel Kroppach begegnen in Nairobis Slums Menschen, für die der Ausnahmezustand Alltag ist. Und sie staunen, wie Menschen wie Mama Ken und Mariamu mutig glauben, allem Unplanbaren zum Trotz.

Mama Ken ist als Köchin an der Ark School nicht wegzudenken. Täglich kocht sie für 460 Schüler und Lehrer in einer kleinen Küche auf Kohlefeuer. Es ist warm und eng. Aber ihr Essen ist immer pünktlich, schmeckt hervorragend und wird mit einem Lächeln serviert.

Es ist eine logistische Meisterleistung und sie vollbringt das Tag für Tag treu seit vielen Jahren. Dabei hat sie immer ein Auge auf die Kinder: Wer braucht einen extra Löffel? Wer bekommt freitags etwas mit für das Wochenende, weil es zu Hause nichts geben wird? Kinder, die Probleme haben, kommen zu ihr. Wer sich nicht wohl fühlt, bekommt noch einen warmen Tee.

Doch ihren Job hat sie nicht, weil sie den besten Lebenslauf hatte oder die besten Empfehlungen: Sie ist keine gelernte Köchin. Sie war eine Mutter, ihr Sohn Ken Schüler in der zweiten Klasse. Irgendwann fiel auf, dass er in schlechtem Zustand zur Schule kam, und es stellte sich heraus, dass die Mutter seit drei Tagen nicht nach Hause kam.

Sie war jeden Tag mit einem kleinen Stand, an dem sie Waren verkaufte, an einer Straßenecke. Als die Lehrer sich auf die Suche machten, hörten sie, dass es eine Razzia der Polizei gegeben hatte und sie mit anderen zusammen verhaftet worden war.

Doch sie war nicht dort zu finden, wo die Polizei alle hingebracht hatte. Die Polizei sagte, dass alle von dieser Razzia wieder frei gelassen worden seien. Tagelang gab es keine Spur von ihr. Dann kam die Nachricht, dass sie im Frauengefängnis sei, wo nur Verurteilte untergebracht werden. Sie war in einen falschen Transporter geladen und verwechselt worden. Der Transporter brachte sie zum Gericht, wo sie für die Tat einer anderen Frau verurteilt wurde – keiner glaubte ihr.

Es brauchte einige Zeit, in der Lehrer und Nachbarn für sie kämpften und den Beweis erbrachten, dass es eine Verwechslung gab. Dann wurde sie endlich entlassen. In den vergangenen Wochen hatte sie kein Geld verdient, ihr Vermieter hatte ihr Zimmer geräumt, sie hatte alles verloren.

Für sie ist die Ark School mehr als nur ein Arbeitgeber. Sie ist ein kochendes Zeugnis davon, wie Gott Situationen in etwas Neues verwandelt

Da zur gleichen Zeit die Ark School Hilfe in der Küche suchte, bekam sie den Job. Seitdem ist Mama Ken Teil des Teams der Ark School. Sie ist Christin und aktiv in einer kleinen Kirche. Sie gibt Zeugnis davon, wie sie ganz tief gefallen ist und bereits aufgegeben hatte. Für sie ist die Ark School mehr als nur ein Arbeitgeber. Mama Ken ist ein kochendes Zeugnis davon, wie Gott Situationen in etwas Neues verwandelt.

Umarme das Unplanbare. In dem Kontext, in dem wir arbeiten, gilt ein verpasster Bus oder Termin noch nicht als Unannehmlichkeit. Es geht um die Existenz in den Unwägbarkeiten eines Lebens im Slum in einem Land wie Kenia. Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, kann das Leben kosten.

Gerade deshalb liegen große Chancen darin, für die Menschen da zu sein. Gerade unter Muslimen, mit denen wir in Nairobi arbeiten, ist die emotionale Distanz und Kälte sehr groß. Es wird wenig Empathie oder Wärme gezeigt – weder in der Familie noch Fremden gegenüber. Emotionen sind meist negativ und impulsiv. Wenn Kinder Emotionen zu spüren bekommen, sind es negative Reaktionen.

Das ist sicher ein verständlicher normaler Zustand für Menschen, die immer am Anschlag sind. In unserem letzten Lehrer-Training hat eine Therapeutin ihnen eine Spirale gezeigt, die Emotionen von Grün (in Ordnung), Orange (angeschlagen) bis Rot (Ausnahmezustand) darstellt. Dabei ist Gott im grünen Zentrum dargestellt und die Distanz zu ihm wächst mit dem Maß an Ausnahmezustand.

Viele der Kinder und Familien, mit denen wir arbeiten, leben in einem Dauerzustand außerhalb des grünen Bereiches. Dort ist eine positive Reaktion auf Unplanbares kaum noch möglich und gleichzeitig ist eine konstante Auswärtsbewegung in der Spirale zu beobachten.

Umso wichtiger ist es für uns als Mitarbeiter, selbst im grünen Bereich zu bleiben und das Unplanbare positiv zu umarmen. Wir können nicht jede Situation ändern. Das ist manchmal frustrierend und schwer auszuhalten.


Mariamu

Mariamu hat mehrere Kinder an der Ark School, sie ist Teil einer großen muslimischen Familie. Über den langjährigen Kontakt mit den Lehrern kommt sie ins Fragen und wird Christin. Ihre Familie verstößt sie und als sie eines Tages zum Kochen ein Streichholz entzündet, explodiert ihre kleine Hütte. Es war eine brennbare Flüssigkeit in der Hütte verteilt worden. Sie trägt schlimmste Verbrennungen davon – über 60 Prozent ihrer Haut sind verbrannt. Monatelang schwebt sie zwischen Leben und Tod, verliert ein Auge, ist taub auf einem Ohr, kann nicht mehr riechen oder schmecken.

Doch sie überlebt und bleibt unerschütterlich in ihrem Glauben. Kurze Zeit später stirbt einer ihrer Söhne: Er wird von Fremdem vom Dach gestoßen. Es ist ziemlich sicher, dass es eine weitere Rache der Moslems war. Nur wenig später stirbt ein weiterer Sohn bei Streitigkeiten zwischen Moslems und Christen. Ihren letzten Sohn verliert sie an AIDS.

Trotz allem – obwohl sie verstoßen ist, ist sie dankbar für die Christen und die Ark School, die sie zu Jesus gebracht hat. Als wir sie in ihrem kleinen Laden besuchen, den sie mit einem Kleinkredit gestartet hat, gibt sie ein Zeugnis, wie sie alles verloren und doch alles gewonnen hat.

Das Unplanbare ermöglicht es, den Menschen näher zu kommen. Es ist nicht immer einfach, haben wir doch den Wunsch nach einem Plan. Wir möchten gestalten und Dinge verändern.

In einem Land wie Kenia, wo an jeder Ecke eine andere Kirche steht und Kirchen mehr Business als Orte der Einkehr sind, führt der Weg zu Moslems über diese direkte Interaktion. Das Unplanbare ermöglicht es, den Menschen näher zu kommen. Es ist nicht immer einfach, haben wir doch den Wunsch nach einem Plan. Wir möchten gestalten und Dinge verändern. Das ist auch alles wichtig und nötig, aber die größten Chancen finden sich im Ungeplanten – so entdecken wir es auch in den Berichten der Bibel.

Freunde wollen einen Gelähmten zu Jesus bringen: Sie bringen ihn zum Haus, in dem Jesus zu einer großen Volksmenge spricht. Die Freunde finden keinen Weg in das Haus. Sie hatten alles geplant und den Gelähmten auf einer Trage den ganzen Weg getragen. Doch sie können ihren Plan nicht vollenden: Der Weg ist versperrt.

In Markus 2 wird berichtet, wie sie nicht aufgeben. Sie akzeptieren nicht, dass der Weg zu Jesus verstellt ist. Sie gehen buchstäblich durch die Decke, um ihr Ziel zu erreichen. Sie decken Teile des Daches ab und lassen den Gelähmten direkt vor Jesus herab. Nicht auszudenken, was alles hätte schief gehen können: beim Abdecken des Daches, beim Herablassen – und das alles über dem Kopf des Messias.

Doch sie haben ein Ziel und geben nicht auf. Sie akzeptieren die komplizierte Situation, finden neue Wege und erreichen das Ziel – mit mehr Wirksamkeit als auf dem geplanten Weg. „Als Jesus ihren Glauben sah, wandte er sich an den Gelähmten und sagte: ‚Deine Sünden sind dir vergeben.‘“ (Markus 2,5)

Das war mehr, als die Anwesenden erwartet hatten. Die vier Freunde wünschten sich, dass ihr Freund geheilt würde. Es wird nicht berichtet, wie sich der Gelähmte fühlte, aber ich bin sicher, dass er überrascht war: „Vergebung meiner Sünden? Aber ich wollte doch nur geheilt werden?“ Jesus weiß, dass unser größtes Bedürfnis die Vergebung ist.

Jesus heilt menschliche Nöte

Wir lesen davon, dass Jesus schließlich auch die menschlichen Nöte heilt und den Lahmen wieder gehen lässt. Jesus nimmt sich des ganzen Menschen an: körperlich wie geistlich. Die vier Freunde bringen Jesus und den Gelähmten in Verbindung. Trotzdem sind sie stille Akteure.

Es waren vier, die nicht an sich selbst dachten. Sie wollten keinen Segen von Jesus. Sie hatten einen Freund, der Jesus Zuwendung brauchte. Und sie gaben alles, um ihm diese Hilfe zukommen zu lassen. Der Grund ist, dass er ihnen wichtig war: Sie sorgten sich um ihn. Sie selbst sind draußen geblieben und haben nur den Gelähmten ins Haus gebracht. „Freut euch mit denen, die sich freuen, und weint mit denen, die weinen.“ (Römer 12:15)

Mit anderen Worten: „Kümmert euch!“ Die Freunde haben sich gekümmert – nicht zum eigenen Vorteil, sondern zum Vorteil eines anderen.

Diese Vier wollten den gelähmten Mann nicht irgendwohin mitnehmen, sie wollten Christus mit ihm teilen. „Wir können nicht anders als von dem reden, was wir gesehen und gehört haben.“ (Apg. 4,20) Das Anliegen der Vier war es, Jesus mit dem in Kontakt zu bringen, der Jesus brauchte. Wir, die wir Jesus kennen, müssen ihn mit anderen in Kontakt bringen. Dabei stehen wir selbst in der zweiten Reihe – es geht um die, die Jesus noch nicht kennen.

Diese vier Freunde hatten einen so großen Glauben, dass sie sich weigerten, aufzugeben. Sie waren fest entschlossen, Jesus und den Gelähmten zusammenzubringen, koste es, was es wolle. Und genau das hat es gekostet – einen Preis. Es kostete sie Zeit. Es kostete Mühe. Es kostete sie Mut. Aber sie waren bereit, alles zu tun. Ihr Antrieb war der Glaube, dass nur Jesus heilen kann. Glaube ist nie etwas, über das man nur reden kann. Er zeigt sich darin, wie wir leben. Vor allem in der Art, wie wir auf das Unplanbare reagieren und es schließlich umarmen.

Steffi und Daniel Kroppach sind Missionare in Nairobi, Kenia

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (August – Oktober 2023) erschienen.