„Die Welt ist schon hier“

„Die Welt ist schon hier“

Elorm Nick Ahialey-Mawusi teilt seine Vision für die Zukunft der Kirche in Europa. Für ihn liegt sie – angesichts der wachsenden Vielfalt in unserer Gesellschaft – in transkulturellen Gemeinden. Wie der, die er in Hamburg gegründet hat.
Dieser Artikel ist ein Vortragsauszug von der Konferenz „Joining Hands for Mission in Europe” – der fünften Konferenz des Internationalen Bundes Freier evangelischer Gemeinden (IFFEC) unter diesem Titel. 100 Frauen und Männer aus 20 Ländern, denen Gemeindegründung in Europa am Herzen liegt, trafen sich dazu im September 2023 nahe Madrid.

Ursprünglich aus Togo, lebe ich seit 16 Jahren in Hamburg und bin Gründer der Living Generation Church. 2015 ins Leben gerufen, ist sie zu einem Modell für eine transkulturelle Kirche geworden, von der ich glaube, dass sie die Zukunft der Kirche ist.

Die ersten Gemeinden sind transkulturell

Im Epheserbrief, Kapitel 2,14–16 führt Paulus in das Geheimnis der Kirche als eine interkulturelle Gemeinschaft ein. Wer sind diese beiden Gruppen, die Heiden und die Juden? Diese beiden Gemeinschaften haben ihre Unterschiede: Identitätsmerkmale, Sprachen, Kultur, Zivilisation, Nationalität, Herkunftsländer, historische Entwicklungen, Traditionen, Weltanschauung, Status.

Ich behaupte, dass die Kirche von Anfang an transkulturell sein sollte. Das Pfingstwunder ist eigentlich die Verwirklichung dieser neuen Realität: Die Galiläer sprechen Aramäisch und jetzt hören die Diaspora-Juden aus der ganzen Welt sie – sie sprechen ihre Sprache. So hat die allererste interkulturelle Gemeinschaft begonnen.

In Apostelgeschichte 8 wird die Gemeinde von Antiochia vorgestellt als eine Gemeinschaft von jüdischen Menschen und Nicht-Juden. Hier werden sie erstmals Christen genannt. Es handelt sich nicht mehr um eine jüdische Synagoge, sondern es gibt ein neues Phänomen: Christen. Was ist, wenn Migranten in Europa heute wie Paulus und Barnabas damals in Antiochia sind? Wenn Migranten Missionare in Europa sind, die mit uns Gemeinden gründen?

3000 Migrantenkirchen in Deutschland

Seit Ende des 20. Jahrhunderts gab es eine bemerkenswerte Bewegung von Menschen aus dem globalen Süden in den globalen Norden. Diese Einwanderer brachten ihr soziales, kulturelles und spirituelles Kapital mit und waren in der Lage, ihre Kirchen zu gründen. Allein in Deutschland gibt es schätzungsweise über 3.000 Migrantenkirchen. Ihre Mitgliederzahl variiert zwischen Dutzenden und Hunderten. Das ursprünglich aus Nigeria stammende „Kingsway International Christian Centre (KICC)” in London hat über 10.000 Mitglieder, die wöchentlich an den Aktivitäten teilnehmen. Vor dem Krieg in der Ukraine war die afrikanische Gemeinde „Embassy of Blessed Kingdom of God“ eine Gemeinde mit etwa 25.000 Mitgliedern. Und die Mehrheit von ihnen waren keine Afrikaner, sondern Ukrainer.

Migrantenkirchen dienen als geistliche Heimat für viele Einwanderer, die in europäischen Kirchen keine geistliche Heimat finden konnten. Sie dienen auch als Mittel zur Bewahrung und Transformation ihrer Identität. Sie dienen als soziales Netzwerk bei der Bewältigung verschiedener Herausforderungen in einer Gesellschaft. Sie dienen auch als Orte der Ermächtigung und Transformation, Orte der Integration.

Von abgeschieden zu inkulturiert

Im Allgemeinen durchlaufen diese Kirchen drei Entwicklungsphasen. Die erste ist die Phase der Abgeschiedenheit, die monokulturell ist. Hier sind diese Menschen mit Anfeindungen in der Gesellschaft konfrontiert und suchen nach einem sicheren Ort, wo sie sich zu Hause und sicher fühlen können. Sie benutzen ihre lokale Sprache. Sie wollen keine ökumenischen Beziehungen. Und oft sind sie Angehörige der gleichen ethnischen Gruppe.

Die zweite ist die Phase der Öffnung. Sie engagieren sich in der Gesellschaft, ihre Kinder haben Freunde. Und so beginnen sie, sich der Aufnahmegesellschaft zu öffnen. Sie nehmen eine europäische Sprache an und werden multikultureller.

Die dritte ist die Phase der Interkulturation. Jetzt gibt es mehr Europäer, die sich in diese Kirchen integriert und sogar Führungspositionen eingenommen haben. Diese Kirchen verwalten sich selbst, was die Leitung angeht. Sie verbreiten sich selbst in Bezug auf Mission und Gemeindegründungen. Sie finanzieren sich selbst und leben von ihren eigenen Mitteln. Sie leiden oftmals unter einem Mangel an Finanzen und haben keinen kirchlichen Status.

Gegen Ende des letzten Jahrzehnts gab es eine neue Entwicklung unter der zweiten und dritten Generation dieser Einwanderer, vor allem in Deutschland. Diese Menschen – hier geboren und aufgewachsen – sind unzufrieden mit den Migrantenkirchen der ersten Generation: Die Spiritualität ihrer Eltern, die stark von den afrikanischen Weltanschauungen und Kulturen beeinflusst sind. Fragen der Leitung und der patriarchalischen Autoritäten und Strukturen. Predigten, die sich mit den Erfahrungen ihrer Eltern als Einwanderer in ihrem Gastland befassen, während die Erfahrungen der zweiten und dritten Generation sich erheblich von denen ihrer Eltern unterscheiden. Schließlich die Unfähigkeit dieser Gemeinden, transkulturelle Räume zu bieten für diese Kinder und Jugendlichen, so dass sie mit ihren Freunden Gottesdienst feiern können.

Dritte Räume für eine neue Generation

Folglich haben sie nun begonnen, ihre eigenen Kirchen zu gründen: Post-Migrations-Kirchen. Sie bieten einen transkulturellen – oder dritten – Raum, in dem die zweite Generation zusammen mit Menschen ohne Migrationshintergrund gemeinsam ihre Spiritualität ausdrückt. Sie sind post-konfessionell: „Ich bin ein Christ.“ Diese Identität bringt sie zusammen. Und sie praktizieren integrative Leitung, wo junge Männer und Frauen sich einbringen. Sie sind ökumenisch, sind zu einem Mehrgenerationenverein
geworden, so dass sich sogar Menschen der ersten Generation ihnen anschließen. Und sie sind attraktiv für alle Arten von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund.

Heißt das, dass wir unsere monokulturellen Kirchen nicht mehr brauchen? Ich denke, wir brauchen sie immer noch, weil sie die Bedürfnisse und Hoffnungen einiger Menschen erfüllen. Aber wenn wir in die Zukunft blicken, brauchen wir transkulturelle Kirchen. Weil unsere Kirchen nicht die Realität unserer heutigen Gesellschaften widerspiegeln.

Den Missionsbefehl neu verstehen

Es gilt den Missionsbefehl neu zu verstehen: Zu biblischen Zeiten hieß es: „Geht in alle Welt.“ Aber im Moment ist die ganze Welt hier bei uns in Europa. Der Kairos-Moment ist jetzt. Wir können zusammenkommen und dieses globale Christentum leben. Jesus hat seine Jünger zu zweit losgeschickt. Diese Zweiergruppe kann heute aus Ihnen und dem Gemeindegründer mit Migrationshintergrund bestehen.

Stellen Sie sich vor, was wir gemeinsam tun können. Frei nach Epheser 2,19-20: „Folglich seid ihr keine Fremden mehr. Ihr seid nicht länger Migranten. Ihr seid Mitbürger des Volkes Gottes und auch Glieder seines Hauses, das auf den Apostel und Propheten baut, wobei Christus Jesus selbst der Eckstein ist.“

Elorm Nick Ahialey-Mawusi ist Pastor einer transkulturellen Gemeinde in Hamburg.

Statements von Teilnehmenden von „Joining Hands for Mission“

Wer wird in den nächsten Jahrzehnten für die Mission verantwortlich sein und das Reich Gottes in Europa voranbringen? Inspirierende Menschen, innovative Projekte und ein starkes, kontinuierliches Netzwerk, um sich gegenseitig im Geist und in der Wahrheit zu stärken.

Josias de Zubiaurre Racis, Deutschland

Es macht so viel Mut, zu hören, was Gott derzeit in Europa tut. Es war wirklich etwas Besonderes, ukrainische Pastoren bei uns zu haben und ihre Geschichten zu hören. Gott schenkte mir eine neue Liebe für ihr Land.

Anniina Halonen, Finnland

Wir konnten Erfahrungen, Siege und Herausforderungen austauschen. Darüber hinaus wurden wir mit Motivation und Wissen über die Dienste ausgestattet, an denen wir beteiligt sind.

Håkon Øverland Vikse, Norwegen

Jedes einfache Gespräch inspirierte mich und rüstete mich für meine Aufgabe aus. Jetzt betrachte ich meinen Kontext, die Stadt, in der ich mich befinde, und den Ruf Gottes als eine Herausforderung, die mich dazu motiviert, ihn in die Tat umzusetzen.

Natanael Barrios Rivero, Spanien

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (November 2023 – Januar 2024) erschienen.