Mission in Europa – heute und in Zukunft

Mission in Europa – heute und in Zukunft

Europa war jahrhundertelang Impulsgeber für globale christliche Mission. Wo steht unser Europa heute und was braucht es, damit Jesus auch in Zukunft Europäern bekannt gemacht wird? Matthias Ehmann begibt sich auf den Ausguck eines veränderten Kontinents.
Dieser Artikel ist ein Vortragsauszug von der Konferenz „Joining Hands for Mission in Europe” – der fünften Konferenz des Internationalen Bundes Freier evangelischer Gemeinden (IFFEC) unter diesem Titel. 100 Frauen und Männer aus 20 Ländern, denen Gemeindegründung in Europa am Herzen liegt, trafen sich dazu im September 2023 nahe Madrid.

Der Kontext Europa – Vulnerabler als gedacht

Europa ist ein guter Ort. Viele offene Grenzen, kaum Visa, häufig eine gemeinsame Währung, gute Transportrouten und sichere Reisemöglichkeiten. Europa ist immer noch einer der sichersten und wohlhabendsten und freiesten Orte dieses wunderbaren Planeten Erde.

Dass Europa zunächst schlicht ein guter Ort ist, zeigt sich auch daran, dass Menschen, die verfolgt werden, hier Schutz suchen und zumindest teilweise auch finden. Sei es wegen Verfolgung, Krieg oder dem Wunsch nach ökonomischem Aufstieg oder Bildung.

Die Arbeitslosigkeit innerhalb der Europäischen Union hat sich in den letzten zehn Jahren halbiert und liegt nun bei unter sechs Prozent, wenn auch sehr unterschiedlich verteilt auf die einzelnen Länder.

Neben diesen vielen erfreulichen Trends gibt es aber auch andere Entwicklungen in den letzten zehn Jahren. Europa, das heißt auch Brexit. Nationalismus und Populismus nehmen nicht nur in Großbritannien zu. Der Hass auf Minderheiten wie z. B. Juden und Sinti und Roma wächst. Die Flüchtlingssituation seit 2015 hat die letzten Jahre mitgeprägt und zu fragilen Kompromissen in Europa geführt. Die Integration ist seitdem teilweise hervorragend gelungen, hat aber auch zu Spannungen und negativen Erfahrungen in fast allen Ländern Europas geführt. Der Corona-Virus war eine große Herausforderung für ganz Europa in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Gesellschaft und Wirtschaft: eine hohe Übersterblichkeit, viele neue Staatsschulden und eine Generation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die eine messbar schlechtere Bildung bekommen und eine messbar höhere psychische Belastung erlebt haben. Durch den Klimawandel erleben wir in den letzten Jahren in fast allen Ländern extreme Dürre, Brände und Starkwetterereignisse. Ein neuer großer Krieg ist in Europa nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine entbrannt. Dazu gibt es auch schon länger dauernde, aber weniger beachtete Konflikte an der Grenze Europas in Armenien, Kurdistan und einen schwelenden Konflikt auf Zypern. In den Lieferketten nach Covid zeigen sich Risse und diese verdeutlichen einer durch Globalisierung extrem reich gewordenen Europäischen Union die eigene Abhängigkeit.

Das Christentum in Europa – vielfältiger als wahrgenommen

Wenn wir über unsere Mission in Europa und vor allem über Gottes Mission in Europa nachdenken, dann ist Europa natürlich mehr als nur ein soziologischer Kontext. Europa ist der Ort, wo das westliche Christentum über Jahrhunderte geprägt wurde.

Aber das Christentum als einheitliche Größe gibt es genau so wenig wie eine einheitliche Entwicklung in Europa. Das Christentum in Europa ist ein vielfältiges Phänomen, dass von Soziologinnen, Religionswissenschaftlern, Theologinnen und Missionsstrategen untersucht und bewertet wird.

In absoluten Zahlen ist das Christentum in Europa zwischen 1910 und dem Jahr 2010 gewachsen – und das um ganze 160 Millionen Menschen. Allerdings ist in der Zeit natürlich sowohl die Gesamtbevölkerung Europas als auch das Christentum als Weltreligion stärker gewachsen. Die einfache Aussage, das Christentum in Europa schrumpfe, ist aber statistisch gesehen schlicht falsch. In diesen einhundert Jahren ist natürlich viel passiert und klar ist auch, dass nicht alle dieser 560 Millionen Menschen hingegebene Jesus-Nachfolger sind.

Wir hatten in Osteuropa mit dem Kommunismus einen radikalen Einbruch des Christentums. Es wurde systematisch aus der Öffentlichkeit verdrängt. Gleichzeitig hat sich das Christentum in den Ländern unterschiedlich behauptet und sich etwa in Polen, in Russland und Georgien und Armenien sehr stark erholt. Gleichzeitig ist die Entwicklung in anderen postsowjetischen Ländern dramatisch schlechter.

In Nordeuropa gehen wir vom Staatskirchentum hin zu einer starken Säkularisierung, zumindest in den meisten Ländern.

Im Süden schwankt besonders, aber nicht nur, der Katholizismus zwischen einer stabilen Basis und tiefgreifenden Erschütterungen auf Grund des schrecklichen Missbrauchs an Kindern und anderen Schutzbefohlenen.

In Westeuropa schwankt das Christentum zwischen neuer Pluralität mit einer wachsenden Bedeutung von Migrantinnen und Migranten und ihren Konfessionen und Denominationen und der stärker werdenden Marginalität von Christentum.

Gleichzeitig erleben wir in diesen vielen Veränderungen, dass viele kongregationale Kirchen stärker miteinander und mit anderen Kirchen kooperieren. In Schweden hat sich unser Bund mit anderen traditionellen Freikirchen zu einer gemeinsamen Kirche zusammengeschlossen, in Deutschland fand in den letzten zehn Jahren eine erstaunliche ökumenische Öffnung der Freien evangelischen Gemeinden in den letzten zehn Jahren statt. Inzwischen gibt es von Evangelikalen häufig sowohl lebendige Kontakte zu Pentekostalen als auch zu Katholiken.

Das Christentum in Europa wird insgesamt internationaler, vielfältiger und kleinteiliger. Teilweise verliert es seine gesellschaftliche Bedeutung, teilweise wird es zu einer neuen Form des inoffiziellen Staatskirchentums – teilweise zum Schaden von uns Freikirchen.

Kongregationale Mission in diesem Kontext – eine Studie

In den letzten Jahren haben wir von der Allianz-Mission für und mit Hilfe des Mission Committee eine Studie zur Mission innerhalb der IFFEC (International Federation of Free evangelical Churches, deutsch: Internationaler Bund Freier evangelischer Gemeinden) durchgeführt. Sie zeigt, dass Europa für die weltweite IFFEC die Heimat vieler Gemeindebünde ist, aber sich unter den 10 wichtigsten Einsatzländern im Moment auch sechs europäische Länder finden (Ukraine, Rumänien, Spanien, Russland, Frankreich, Deutschland). Europa ist also nicht nur historisch, sondern auch aktuell ein zentraler Kontext für unsere kongregationale Mission.

Missionstheologische Beobachtungen

Gott und Kirche wird in vielen Ländern vielen Menschen einfach egal. Sie sind nicht gegen Gott oder die Kirche, sie spielen schlicht keine Rolle in der Bewältigung der jeweiligen Herausforderungen. Klassische Apologetik wird hier wahrscheinlich nicht helfen, sondern wir müssen die Relevanz, Ernsthaftigkeit, die Hoffnungspotentiale und die Konsequenzen des Glaubens zeigen.

Gleichzeitig wird an anderen Stellen Religion mit einer kulturellen Identität und teilweise mit Nationalismus verschmolzen. Wir packen im europäischen Christentum teilweise das Kreuz und die Bibel in eine Nationalflagge ein. Das widerspricht der grundsätzlich universellen Wahrheit des christlichen Glaubens. Wir sollten uns nicht vor den Karren von Nationalismus und Populismus spannen lassen. Die reale Kooperation in der IFFEC kann uns helfen, eigene Nationalismen in der gemeinsamen Nachfolge zu erkennen und abzustellen.

In säkularisierten Ländern geht es bei Gemeindegründung immer um mehr als nur darum, Menschen von einer spezifischen Art der Frömmigkeit oder einer bestimmten Theologie zu überzeugen. Wir brauchen viel längere Wege vor und nach dem zum-Glauben-Kommen von Menschen. Ganzheitliche Jüngerschaft muss eingeübt werden und Menschen müssen in langen Prozessen den Glauben kennenlernen.

Auf Grund neuer Vulnerabilität wird es punktuell zu regionalen Krisen in Europa kommen. Hier kann es zu plötzlichen Aufbrüchen und Gemeindegründungen kommen, weil die Hoffnungsperspektive plötzlich akut wird. Wir müssen flexibler, schneller und professioneller im Umgang mit Krisen werden. Das gilt nicht nur im Blick auf humanitäre Hilfe, sondern auch bezüglich geistlicher Angebote und mit dem direkten Ziel, diese nachhaltig in gesunde Ortsgemeinden zu überführen.

Viele europäische Gesellschaften überaltern und können den Bedarf an jüngeren Menschen und an Arbeitskräften nur über Migration abdecken. Migration führt in allen europäischen Ländern, aber sehr unterschiedlich stark, zu einer Pluralisierung der religiösen Landschaft. Migrantinnen und Migranten sind dabei häufig engagierte Akteure christlicher Mission. Gleichzeitig werden viele verschiedene religiöse Traditionen durch Migration in Europa heimisch und bieten die Chance für ein lebendiges christliches Zeugnis gegenüber fast allen Religionen der Welt in Europa.

Themen der Mission der Zukunft

Ganzheitliche Mission
Es ist nichts Neues, aber Mission bedeutet mehr als soziales Handeln und Mission bedeutet mehr als Evangelisation. Im Angesicht von Krieg, von Naturkatastrophen und mit Blick auf autoritäre Staaten und Diktaturen brauchen wir ganzheitliche Antworten. Wir bauen umfassend an der Königsherrschaft Gottes. Mission beinhaltet immer drei miteinander verbundene Elemente: ganzheitliche Evangelisation, nachhaltiger Dienst und engagierte öffentliche und prophetische Theologie.

Digitalität
Jeder von uns verbringt super viel Zeit im Internet. Wir informieren uns dort, wir vernetzten uns mit anderen und halten Kontakt zu Familie, Freunden und Gemeinde. Digitalität verändert das Leben vor Ort, Gemeindegründungen und unsere gemeinsame Mission als Christen. Gleichzeitig verändert Künstliche Intelligenz wie wir arbeiten, auf was wir Nachrichten hin überprüfen und wie wir Menschsein verstehen. Das muss theologisch reflektiert, seelsorgerlich begleitet und als Technologie verantwortlich eingesetzt
werden.

Von allen getragene Mission
Wir denken bei Gemeindegründern zu oft an einen Mann aus Europa oder Nordamerika, meist zwischen 30 und 50. Aber Frauen, Menschen aus dem Globalen Süden, sehr junge und sehr alte Menschen, Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit unterschiedlichen Berufen sollten noch mehr Teil unserer Gemeindegründungen sein.

Ziel und Mittel nicht verwechseln
Wir wollen das Reich Gottes sehen, nicht nur Kirche. Gemeindegründung ist ein sehr gutes Werkzeug, um Herzen einzelner Menschen und komplette gesellschaftliche Verhältnisse zu ändern. Ich bin absolut kein Fan eines individualisierten Glaubens ohne tragende Gemeinschaft. Glaube braucht immer eine Form von Gemeinschaft, darum ist Gemeinde konstitutiv für Jesusnachfolge. Aber Gemeinde ist nie ein Selbstzweck, sie ist immer ein Mittel auf dem Weg zum Reich Gottes.

Kollaboration innerhalb der IFFEC und darüber hinaus
Wir haben als IFFEC in Europa den Schatz, dass wir unterschiedliche Bünde und Missionswerke mit ganz vielen unterschiedlichen Erfahrungen und Ressourcen sind. Wir sollten die transnationalen Netzwerke einzelner Bünde – etwa im Bereich internationaler Gemeinden – nutzen. Wir sollten dabei auch mit anderen Kirchen, die uns nahe stehen, zusammenarbeiten. In der Säkularisierung werden theologische Differenzen zwischen einzelnen Kirchen nicht egal, aber sie bekommen eine andere Perspektive im Angesicht einer entchristlichten Gesellschaft.

Strategischer Einsatz von Gemeindegründern
Wir sollten als IFFEC dort Missionare hinschicken, wo diese sich tief in den Strukturen eines regionalen IFFEC Bundes einbringen können, um dort mit anderen Gemeindegründungen einen Hub für Gemeindegründung zu schaffen, der die Kultur dieses Bundes für Gründungen öffnen kann. Wenn dies erfolgreich passiert ist, sollte es immer mehr einheimische Gemeindegründer geben und dann von unserem internationalen Netzwerk ein neuer Bund unterstützt werden. Früher war das Deutschland, jetzt ist es Spanien. Was bedeutet das für Österreich, Polen, Griechenland und andere Bünde?

Neue Europäer und internationale Gemeinden
Europa wird pluraler in Bezug auf das kulturelle Erbe und die religiöse Orientierung. Viele neue christliche Gemeinden entstehen – meist pentekostaler oder orthodoxer Orientierung – und bereichern so das christliche Zeugnis in Europa. Als IFFEC Bünde ist es unsere Herausforderung, diese Pluralisierung in unseren eigenen nationalen Bünden zu gestalten und gleichzeitig ökumenisch kooperationsfähig zu werden. Dabei ist auch ein eigenes theologisches Profil wichtig, um den Fokus und die eigene Tradition in den großen Chor christlicher Mission in Europa einzubringen.

Fröhlich und experimentierfreudig Jesus lieben
Gute Missionstheologie ist mein Herzensthema, Strategie ist etwas, das sofort in meinen Kopf kommt. Aber am Ende sollten wir auch nicht zu verkopft und zu verkrampft an Gründungen herangehen. Es geht darum, dass sich Leute experimentierfreudig, fröhlich, mutig und ruhig auch locker um Jesus Sammeln und gemeinsam ein Stück von Gottes Reich erahnen lassen.
Manchen machen diese Gedanken vielleicht Hoffnung, andere lassen sie ratlos zurück. Ich durfte im September 2023 ein Missionspraktikum mit Masterstudierenden in Cuxhaven leiten. Im Wattenmeer habe ich einen Grashalm gefunden. Alle paar Stunden kommt die Flut und überspült hunderte Quadratkilometer Land und dann zieht sich das Wasser mit der Ebbe zurück. Viele hundert Meter vom Festland entfernt waren nur Schlamm und Muscheln – und dieser Grashalm. Das ist eine Pionierpflanze. Nicht die schönste Pflanze in Gottes Garten. Aber sie ist der erste kleine Schritt dahin, dass aus diesem Schlamm fruchtbares Land wird. Sie widersteht dem Salzwasser, den Wellen, dem Wind. Und sie geht jeden Tag unter, aber kommt wieder aus dem Wasser hervor. Ich wünsche mir, dass unsere Gemeindegründungen solche Pflanzen für Gottes Reich sind. Kleine Zeichen der Hoffnung und reale Schritte auf dem Weg zum fruchtbaren Land.

Prof. Dr. (Unisa) Matthias Ehmann, Professor für Missionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Theologischen Hochschule Ewersbach

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (November 2023 – Januar 2024) erschienen.