Indigene Kultur im Wandel
Zwei Welten treffen aufeinander: indigenes Leben im Dschungel und brasilianisch-weiße Zivilisation. Hier Brücken zu bauen, die nachhaltig Perspektiven ermöglichen, ist eine Herausforderung, an der Eliana und Kristaps Janson als Missionare im Nordwesten Brasiliens mitwirken.
Der Amazonas ist mit über 6000 km einer der längsten Flüsse der Welt. 5,5 Millionen Quadratkilometer Regenwald klingen viel, doch in den letzten 50 Jahren hat er fast die Hälfte seiner Fläche an die Agrarwirtschaft verloren. Die Veränderungen des Klimas und die ständige Weiterentwicklung unserer Welt kommen auch im Dschungel an. Unter anderem bei den Kulina.
Die indigenen Kulina haben seit über 100 Jahren Kontakt zu Weißen. Seit rund 60 Jahren stehen sie in Verbindung mit Missionaren, die zum Teil in ihren kleinen Dörfern aus Holzhütten wohnen. Um sie herum wächst die brasilianische Zivilisation mit ihren Städten heran. Aus ihr stammt Elianas Mutter. Sie arbeitete auf der Farm ihres Vaters, wo sie sich in den Häuptling eines dieser kleinen Dörfer verliebte. Sie heirateten und lebten 30 Jahre lang bis zum Tod von Elianas Vater unter den Kulina. Doch angenommen war ihre Mutter als Weiße nie. Genauso wie Kulina in den Städten Rassismus erfahren, haben sie auch ihre Meinungen über Weiße – manche positiv, andere nicht.
Die Kulina bemerken den Unterschied zwischen sich und den Weißen. Manche suchen Arbeit in der Stadt und wollen wie die übrige Bevölkerung Brasiliens sein. Sie wünschen sich Reichtum und sind offen für die Welt da draußen. Dadurch verliert sich an manchen Stellen das Festhalten an ihrer Herkunft ganz automatisch. „Kulturen verändern sich”, sagt Eliana. „Das ist ganz normal.” Doch jetzt gilt es, den Kulina zu helfen, den Anschluss zu schaffen. Im Guten.
In der Stadt erhalten Indigene Sozialhilfe, von der sich viele Alkohol kaufen. Schon manche Kinder trinken hochprozentigen Alkohol, da sie ihn bereits im Mutterleib aufnehmen. Es mangelt an Bildung, wofür prinzipiell der Staat verantwortlich ist. Jedoch sind die Schulen oft in Städten, weit von den Dörfern entfernt und der Unterricht findet auf Portugiesisch statt, was viele der Kulina-Kinder nicht sprechen. Für Eliana war es ein Segen, dass während ihrer Kindheit Missionare in ihrem Dorf lebten. Jeden Tag lief sie zu ihremHaus und erhielt Bildung auf Grundschulniveau. Zudem konnte sie durch ihre brasilianische Mutter bereits Portugiesisch sprechen. Mit 14 Jahren ging sie fort, um in einem Internat rund 2000 km südöstlich die Bibel zu studieren.
„Tu das nicht, sonst bestrafen dich die Geister.“
Obwohl ihre Mutter Christin war, erinnert sich Eliana an die überall präsente Angst vor Geistern. Die Kulina schlafen immer mit Licht, weil sie glauben, dass es Geister fernhält. So machte es auch die junge Häuptlingstochter. Im Internat musste sie mit anderen indigenen Mädchen lernen, nachts das Licht auszuschalten – um Strom zu sparen.
Nachdem Eliana im Internat Christin geworden war, verschwand die Angst vor den Geistern. Doch als sie 2019 zurückkam, kamen die Gedanken und Ängste aus ihrer Kindheit und Jugend zurück. Durch Gebet wurde es mit der Zeit wieder besser und sie lernte den deutschen Kristaps kennen, der als Volontär die Missionarsfamilie Totz unterstützte. Wenn Eliana und Kristaps heute mit ihren
Kindern die Dschungeldörfer besuchen, hören sie immer wieder Verbote in Zusammenhang mit der unsichtbaren Welt. „Tu das nicht, sonst bestrafen dich die Geister.“
All ihre persönlichen Erfahrungen führen Eliana zu der Überzeugung, dass Bildung zwar wichtig ist, aber viel wichtiger empfindet sie die grundlegende Not nach dem Evangelium. Das Evangelium nimmt Ängste. Natürlich verändert es auch Kultur, aber es verändert vor allem, was nicht gut ist. So töten Kulina behinderte Kinder direkt nach der Geburt – diese Praxis lehnt das Christentum ab. Gott nimmt Menschen an, wie sie sind. „Du wurdest als Kulina geschaffen” – den Wert darin möchten Kristaps und Eliana stärken. „Aspekte der kulinischen Kultur; ihre Lieder, ihre Sprache und wie sie gemeinsam leben, sind sehr schön. Das sollten sie bewahren”, erklärt Kristaps. Nicht alles, was von den Weißen kommt, sollte Kultur ersetzen.
Als besonders wichtig erlebt das Paar die Schöpfungsgeschichte. Sie besuchen regelmäßig ein Dorf, um mit Bildern und Geschichten entsprechend der Kultur von Gott zu erzählen. Da Gott als der Schöpfer beschrieben wird, ergibt es für die Indigenen Sinn, dass er über allem steht – auch über den bösen Geistern, die sie so sehr fürchten.
Um langfristig zu helfen,braucht es Selbstständigkeit.
Die Herausforderung der Evangelisation liegt in der großen Offenheit der Kulina. Einerseits wollen sie alles, was Weiße haben, bis hin zu ihrem Glauben. Andererseits möchten sie aber auch keinen Zorn von Geistern auf sich ziehen, indem sie widersprechen. So mischen sie den christlichen Glauben mit ihrem Animismus. Eliana hat in all dem eine Brückenfunktion: Sie arbeitet im Team mit Deutschen und Amerikanern. Nicht immer ist ihre Rolle darin leicht.
Die Hilfen der Regierung erfolgen ohne Einbeziehung der indigenen Bevölkerung, was dazu führt, dass viele von den Weißen abhängig bleiben. Eliana hat das hautnah erlebt, als die Missionare das Dorf verließen, in dem sie aufgewachsen ist. Um langfristig zu helfen, braucht es Selbstständigkeit. Damit handeln und denken Eliana und Kristaps anders als die Regierung, viele der Missionare und auch anders als die Kulina. Es ist ein mühsamer Weg, aber er lohnt sich.
Evelyn Clement ist Mitarbeiterin im Servicebereich Communication & Media
Eliana und Kristaps Janson sind Missionare in Brasilien
Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Februar – April 2024) erschienen.